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Mittwoch, 24. Dezember 2008

Abschied

Liebe Leser,
mit der Weihnachtspredigt 2008 aus Alanya und einem Erfahrungsbericht, den ich für die Januar-Ausgabe des evangelischen Magazins „Chrismon“ über meine 9 Monate von April bis Dezember in Alanya geschrieben habe, schließe ich diese Blogseite.
Ich danke allen, die hier mitgelesen haben, was uns in Alanya beschäftigt hat, und ich danke allen, die in Alanya geholfen haben, eine Christliche Gemeinde aufzubauen.
Ich wünsche allen Gottes Segen für die Zukunft.
Wer an weiteren Predigten und Berichten von mir interessiert ist, kann ab Januar 09 auf meiner neuen Blogseite http://klausnerundpilger.blogspot.com weiterlesen.
Herzlich willkommen!
Pfarrer i.R. Rainer Wutzkowsky

Ein Brief aus Alanya - zum Schluss

„Sommer, Sonne, Fettgeruch“ titelte die FAZ-Sonntagszeitung im vergangenen Herbst und brachte dann einen einigermaßen bissigen oder giftigen Bericht über die „Deutsche Kolonie“ an der türkischen Riviera in Alanya. Auch unsere Gemeinde wurde bedacht. Deutsche, die sich hier niedergelassen haben, ärgern sich nur noch wenig über Berichte dieser Art. Solche Reportagen in Zeitungen oder sogar im Fernsehen ist man beinahe schon gewohnt. Da ist zum Xten mal von Willi`s Kneipe mit Skatrunde, Sauerkraut und Rolladen die Rede. Oder von „Rudi aus Bottrop“, der auch nach 10 Jahren noch kein türkisches Wort kennt und der hier „wie in Bottrop“ lebt – nur mit mehr Sonne und dem Meer vor der Haustür. So ist das Klischee – und fast bin ich geneigt zu denken, dass Rudi wohl nur virtuell existiert. Die Menschen, die ich hier kennengelernt habe, sind anders – zumindest auf den 2. Blick.
Zwar wollen sie alle die Wärme, die herrlichen Früchte vom bunten Markt, die billigere Wohnung, das blaue Meer, das leichtere, beschwingtere Leben, die türkische Gastfreundschaft und Freundlichkeit zumal älteren Menschen gegenüber – aber darf man das denn nicht wollen?! Zumal wenn die Rente klein ist und heute manchmal kaum noch für die Heizkosten zuhause reicht. Eigentlich haben die meisten hier im Leben immer unten rangiert. Nein, schlecht ist es nicht, wenn sie es auch besser haben wollen – und ein paar Worte Türkisch können sie mittlerweile auch. Die Sprachkurse sind hier gut besucht; sie sind sogar ausgebucht.
Seitdem ich hier bin, bin ich allerdings auch voller Bewunderung für die Türken, die Deutsch sprechen, auch für die in Deutschland. Es muss doch wohl Deutsch für sie genauso schwer zu lernen sein wie für uns Türkisch.
Überhaupt die Türken! Welch´ verschiedene Kultur! Bis in Gesten und Körpersprache hinein ist alles anders. Und sie sind freundlich und geduldig mit uns Ausländern. Hilfsbereit und einfach nett. Nur ein paar Kilometer vor der Stadt bringen sie uns Blumen oder Früchte als Geschenk, wenn wir mit der Wandergruppe unterwegs sind – einfach so.
Natürlich werden Ausländer und Touristen auch betrogen und übervorteilt. Aber wo auf der weiten Welt ist es anders, wenn Touristenmassen die Kultur verändern?
Auch die Religion ist sehr anders als gewohnt. An den Muezzin morgens um 5 oder 6 muss man sich gewöhnen. Aber neidvoll sehe ich als evangelischer Pfarrer wie ganze Männer(!)scharen in die Moschee strömen oder wie selbstverständlich man(!) seine Religion öffentlich praktiziert. Die Religion ist lebendig und gehört ohne Frage zum Leben dazu. Mit welchem Stolz die jungen hübschen Frauen ihr Kopftuch tragen! Es ist ein Bekenntnis. Ich weiß nicht, ob sie weniger selbstbewusst sind als die halbnackten Touristinnen in der Stadt.
Wir Christen – allein 6000 Deutsche sollen hier ständig oder teilweise wohnen, dazu kommen Niederländer, viele Skandinavier und neuerdings Iren und Polen – wir Christen sind öffentlich nicht so leicht zu bemerken und auch nicht so leicht zu finden. Immerhin hängen zwei oder drei Plakate an markanten Plätzen aus und laden zum Oekumenischen Gottesdienst am Sonntag ein – im Keller. Die Stadt Alanya hat uns einen Raum im großen Städtischen Kulturzentrum, einen Kellerraum zur Verfügung gestellt. Aus dem haben wir im letzten Jahr unsere Kirche gemacht. Einen Ambo und einen runden Altartisch haben wir zimmern lassen. Eine junge Deutsche, mit einem Türken verheiratet, die aus Treibholz kleine Kunstwerke zaubert, hat uns ein Altarkreuz gearbeitet und geschenkt. Treibholz (!) – vielleicht sind wir es hier ja auch? Unsere Organistin Julia, Russin, sitzt am Keyboard, das eine Kartenspielgruppe „erspielt“ und uns geschenkt hat – und dann feiern wir Gottesdienst. Manchmal mit 30, oft mit 60 und hin und wieder sogar mit 90 Besuchern. Alte Menschen, Rentner, Witwen – Familien mit Kindern gibt es fast nur im Sommer. Das sind die Polen.
Oekumenisch sind wir. In Antalya, 120 km westlich, arbeitet ein katholischer Kollege, der vor 5 Jahren hier überhaupt erst begann. Ich sage immer: es ist wie bei den sog. oekumenischen Trauungen. Antalya ist katholisch mit evangelischer Mitwirkung. Alanya ist evangelisch mit katholischer Mitwirkung. Aber wen interessiert das? Die Menschen hier nicht.
Dennoch: beim Abendmahl legt der Kollege Wert auf die Hl.Messe. Er kann und darf ja wohl nicht anders. Ich lade oekumenisch offen ein und sie kommen, fast alle.
Hin und wieder zu den Feiertagen oder zum Erntedankfest fahren wir zum oekumenischen Gottesdienst nach Belek, zwischen Alanya und Antalya gelegen, und treffen dort die Gemeinde aus Antalya. Ein Hotel-Konsortium hat in Belek eine Moschee, eine Synagoge und eine Kirche an einem Ort, nebeneinander errichtet. „Garten der Toleranz“ genannt. Wenn das nicht nur Alibifunktion hat – es wäre ein Modell für die abrahamitischen Religionen. Interreligiöse Veranstaltungen gibt es dort leider (noch) nicht. Aber wie denn auch – wenn die anderen Religionen intern auch so zerklüftet sind, wie wir Christen uns manchmal noch zeigen!
Auch die Holländer und Norweger benutzen „unseren“ Keller für ihre Gottesdienste. Pfingsten feiern wir zusammen in allen vorhandenen Sprachen. Sogar die 1. Sure des Korans wurde beim letzten Mal arabisch gebetet. Manchmal fühle ich mich in solchen Momenten dem Paulus sehr nahe, wenn das nicht zu vermessen ist. Vor 2000 Jahren hat er in dieser Gegend begonnen. Ich glaube, er war schon weiter, als wir es heute hier sind.
Noch einmal die Norweger. Sie sind auf jeden Fall weiter als wir. Ihre Seemannskirche – so eine Art CVJM für die norw. Auslandsarbeit – hat im September 2008 hier in einem ehemaligen Restaurant ein Begegnungszentrum eröffnet. In der Presse hieß es bald „Geheimkirche“, weil sie dort auch ihre Gottesdienste feierten. Seitdem feiern sie ihre Gottesdienste wieder im Keller. Man sieht, wie dünn das Eis unter unseren Füßen ist. Wir wissen auch nicht, ob uns ein anderer Bürgermeister den Keller nicht wieder entzieht. Wir gehen davon aus, dass man in Zeiten von EU-Beitrittsverhandlungen Ausländer nicht verprellen will. Aber weiß man`s?
Wir Deutschen dürfen das „Norwegische Haus“ mitbenutzen. Jeden Dienstag gibt es dort unser Gemeindecafe. Viele kommen. Es spricht sich herum. Ich sehe Gesichter, die ich nicht aus dem Gottesdienst kenne – und ich glaube, man kommt auch nicht nur wegen des leckeren selbstgebackenen Kuchens. Der Mensch lebt ja nicht vom Brot allein, sonder mehr noch vom Gespräch.
Verkaufen dürfen wir nichts. Deshalb gibt es auch keinen Basar. (Und das in der Türkei, wo hier doch alles Basar ist!) Da kämen wir mit dem Gesetz in Konflikt. Deshalb verschenken wir alles – und aus purer Dankbarkeit gibt uns jeder – wirklich! – eine Spende. Türkische Lösung nennen wir das.
Überhaupt können wir uns nur so mit türkischen Lösungen über Wasser halten. Unsere Schwestergemeinde in Antalya wird von A-Z von der Deutschen Bischofskonferenz alimentiert. Außerdem kommen Bildungstouristen dorthin und lassen Spenden da. Die EKD erwartet von uns in Alanya einen nennenswerten Eigenbeitrag, bevor sie mit ihrer ohnehin sparsamen Subventionsgießkanne kommt. Das schürt Neid, Konkurrenzgefühle, manchmal sogar Wut und Verbitterung. Auch Christen sind Menschen.
Und ich, seit einigen Monaten Pastor für diese Gemeindegruppe, bin ja auch schon Pensionär, Pfarrer in Ruhe wie es heißt. Deshalb bin ich nur für 9 Monate hier. (Irgendwie erinnert das ja an eine Schwangerschaft. Aber was soll hier eigentlich geboren werden?) Statt Pfarrer in Ruhe aber sollte es doch eher Pfr.i.A. heißen: im Abenteuer. Das ist es wert, zumal wenn es ein geistliches ist. Und dem nächsten Pfarrer i.R. wünsche ich es auch so.
RAINER WUTZKOWSKY

Weihnachtspredigt 2008

Aus welchem Holz ist die Krippe – aus welchem Holz bin ich?

Liebe weihnachtliche Gemeinde,
Weihnachten nimmt auf die eine oder andere Weise die Herzen der Menschen gefangen.
Wie wäre es sonst zu erklären, dass jemand danach fragt, wo in Alanya zu Weihnachten was richtig los ist, damit man nicht zu sehr an zuhause oder die Kinder denken muss? Andere sagen: ich bin gerade hier, weil ich dem Weihnachtsrummel in Deutschland ausweichen möchte, während wieder andere genau deshalb oder wegen der romantischen Stimmung nachhause, zur Familie fahren? Die einen halten es da nicht aus, die anderen hier nicht.
Weihnachten hat`s in sich! Weihnachten bewegt – positiv oder negativ.
Keiner wird sagen: Weihnachten ist mir total egal – wenn er ehrlich in sich hinein spürt. Auch die Verbitterung, die in einem solchen eventuellen Satz immer mitschwingt, zeigt noch die Berührung. Man kann Weihnachten nicht entkommen. Weihnachten holt uns ein, Weihnachten läuft uns nach.
Es ist ja gar nicht das Festessen. Es sind nicht die Geschenke, der Tannenbaum, die Lichter, das festliche Beisammensein. Das ist Stimmung. Aber selbst die rührt letztlich noch von etwas ganz anderem her.
Was zieht uns an die Krippe? – das ist die entscheidende Frage.
Nun, ein neugeborenes Kind ist immer anrührend und anziehend. Es ruft sofort einen Beschützer-Instinkt wach. Ich muss da hingucken, für Wärme sorgen, den Schlaf bewachen. Ich kann mich an dem Bild nicht satt sehen.
Genau! Das ist es, was zieht: Es ist ein Hunger da. Der will satt werden!
Die Krippe ist ja nun auch zuerst einmal ein Futtertrog. Tiere sättigen sich da. Ochs und Esel, vielleicht sogar Kamel und Löwe. Die Psychologen würden uns das nun schon erklären, wenn wir Menschen ebenso wie die Tiere in die Krippe schauen.
Was bedeutet es denn?
Wir schauen in eine Höhlung, in einen leeren Raum, in eine Schale – und eben einen solchen Hohlraum entdecken wir auch in uns. Unser Herz ist leer wie eine Schale.
Das Herz ist immer eine offene Frage. Es ist bewegt von offenen Fragen. Und diese Fragen gehen nach Lebenssinn, nach Freude, nach Liebe, nach Glück, nach Zufriedenheit. Das Herz fragt: Wo werde ich endlich satt und ruhig? Manchmal komme ich mir in diesen Fragen gierig wie ein Tier vor – mehr oder weniger wild. Die Fragen sind kreatürlich. Sie sind das Elementarste, was es gibt. Manchmal sind sie reißend, zerreißend.
Nun ist da aber ein Kind, ein Neugeborenes in den Tier-Futtertrog gelegt.
Je länger ich es anschaue und betrachte, denke ich: Ja, so müsste es sein! Nicht das wilde Tier, das sich nimmt, was es braucht und will, ist die Lösung für die Welt und für mich. So entsteht immer nur weiterer Unfrieden, Krieg, Kampf, Gewalt, Hass – und ich werde immer unzufriedener und hungriger.
Das Kind ist die Lösung! Vom Kind her wird die Seele satt. Das Kind beruhigt das wilde Tier. Es macht es ruhig, es macht es menschlich. Im Kind schaut mich die Menschlichkeit an.
Der Frieden, den ich brauche,- er kommt zuerst nicht von außen. Er kommt von innen. Er ist unabhängig von allen Dingen, die da außen geschehen und die die Welt nur beunruhigen. Er kommt von innen, wenn ich einstimme, dass da ein neues Kind auch in mir geboren ist. Ich kann noch einmal neu anfangen – heißt das – und alles anders machen. Ich muss mir nur den Blick auf die Krippe, die leere Schale und das Kind darin erhalten. Das ist der Kompass. Orientierung brauche ich. Die gibt mir keine Zeitung, keine Nachrichten. Der weihnachtliche Blick ist es, der mich auf Kurs hält. Die Krippe ist das Symbol dafür.
II
In unseren Kirchen hat sich im Allgemeinen das Kreuz als Hauptsymbol durchgesetzt. Das war nicht immer so. Zuerst hat man im Kreuz nur ein Schandmal gesehen. Das Kreuz ist zuerst ein Negativ-Symbol. Es durchkreuzt, es vernichtet, es streicht durch wie ein X.
Das Kreuz hat ein anderes Symbol verdrängt oder es gar nicht erst zur Entfaltung kommen lassen. Ich meine die Krippe.
Wenn wir das Kreuz ansehen, werden wir vernichtet, durchkreuzt. Das muss auch sein. Am Menschen ist vieles zu durchkreuzen, zu verneinen, wenn er erlöst sein will. Aber darüber dürfen wir nicht verdrängen, dass unsere Herzen hungern und dass sie satt werden wollen. Das ist ebenso legitim.
Wenn wir die Krippe ansehen, werden wir satt – und alles Wilde und Zerstörerische in uns wird langsam menschlich. Da vollzieht sich in uns eine Neugeburt, eine Vermenschlichung. Die setzt uns auf die Spur des Mannes aus Nazareth. Da geht der Weg lang. Wir müssen nur der Spur folgen. Dieser Spur!
Ein großer Theologe (Karl Barth) hat gesagt, dass die Krippe und das Kreuz aus einem Baumstamm gemacht sind. Er wollte damit sagen, dass sie ein und denselben Charakter haben. Beides sind Zeichen der Niedrigkeit oder der Erniedrigung. Das glaube ich nicht – oder so nicht. Das muss man feiner sehen.
Im Mythos vom Paradies am Anfang der Bibel werden zwei Bäume erwähnt: einmal der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse, an dem Adam und Eva scheitern. Aus diesem Baum ist auch das Kreuz gezimmert. Wer Gut und Böse trennt, der neigt auch zum Guten wie zum Bösen. Das bringt eine Zerrissenheit, eine Zerspaltung, eine Kreuzerfahrung in den Menschen hinein. Das erniedrigt ihn, macht sterblich und krank.
Der andere Paradiesbaum ist der Baum des Lebens. Er spendet ewiges und wahres Leben, Sättigung, Fülle. Adam und Eva haben von ihm nicht gegessen, obwohl seine Frucht nicht verboten war. Aus diesem Baum ist die Krippe geschnitzt.
Wer die Krippe betrachtet, wer sie in sich hineinnimmt, sein Herz selbst zur Höhlung, zur offenen Schale, zur Krippe macht, entdeckt das Leben neu und anders. Diese Erfahrung erhebt und macht fröhlich.
Es lohnt, sich von Weihnachten anstecken zu lassen. Egal, ob wir es fliehen oder ob wir gerne sentimental werden: es sind alles Wege, die letztlich doch zur Krippe führen. Wenn wir angelangt sind, sind wir getröstet und freuen uns. Wir sind am Ziel wie die Hirten.
Und so gehen wir getröstet und getrost und gewandelt in dieses Fest und bald in ein Neues Jahr.
Möge es uns ein Fest des Lebens und ein Neues Jahr des Lebens werden.
AMEN

Sonntag, 21. Dezember 2008

Über die FREUDE

Predigt zum 4. Advent über Philipper 4,4-7 am 21.12.2008 in Antalya

Liebe Gemeinde,
zum Arzt geht man in der Regel, wenn man krank ist oder wenn man spürt, dass eine Krankheit naht. Wir erwarten dann vom Arzt Sorgfalt und Bemühung, damit wieder heil und gesund wird, was krank ist. Der Arzt ist vor allem also ein Reparateur. Er repariert, was kaputt ist.
In anderen Kulturen – in China z.B. – sieht man die Aufgabe des Arztes weitaus umfassender. Er soll nicht nur reparieren, sondern vor-sorgen, dass etwas gar nicht erst kaputtgeht. Natürlich muss das auch der Patient wollen. Er muss mitmachen, sonst hilft auch die beste ärztliche Vorsorge nichts.
Es geht um zwei ganz verschiedene Perspektiven. Beide male geht es um die Gesundheit. Einmal aber geht es darum, sie wiederherzustellen, das andere mal aber darum, sie gar nicht erst zu verlieren.
Natürlich ist die zweite Perspektive die bessere. Wer möchte denn schon erst krank werden, um dann mühsam und vielleicht schmerzvoll zu gesunden? Lieber bleiben wir gesund. Wir beugen lieber vor und bevorzugen - wenn wir es ernst meinen – einen gesunden Lebensstil. Die Ärzte nehmen dann nicht das Kranke in den Blick, sondern sie studieren vor allem das Gesunde und fragen sich, wie man es bewahrt. Sie fragen nach Widerstandskräften, nach Immunisierung, nach den Vitaminen, die Leib und Seele brauchen, um gesund zu bleiben.
Diese Perspektive wurde nun nicht nur von den Chinesen entdeckt. Ein jüdischer Arzt und Psychologe hat das z.B. ebenfalls kurz nach dem 2. Weltkrieg entdeckt und erforscht. Er hatte KZ-Opfer untersucht und sich gefragt, warum die einen an dieser furchtbaren Erfahrung zerbrochen sind, während andere viel Widerstand und Kraft gegen genau dieselben Erfahrungen entwickelten. Er hat sich gefragt, was das wohl ist, was die einen so schwach und krank macht und was die anderen stärkt und gesund hält. Es ist nicht nur Veranlagung, geerbte Robustheit, seelische Panzerung. Es muss noch etwas anderes da sein, was die Seele von innen stark macht, und das hat dann auch Auswirkungen auf den Körper, auf die ganze Gesundheit und das Wohlbefinden.
Ich möchte nun sogar behaupten, dass der Apostel Paulus schon vor 2000 Jahren etwas ganz ähnliches entdeckt hat. Wir haben es gerade in der 1. Lesung aus dem Philipperbrief gehört.
Man stelle sich bloß einmal vor:
Paulus sitzt im Gefängnis. Nicht in einem modernen, sondern in einem antiken. Dort hat man ihn hineingebracht, weil seine Glaubensverkündigung Anstoß erregte. Wieder einmal. Er ist also gebunden, im wahrsten Sinne des Wortes. Er kann nichts tun. Dann bekommt er noch schlechte Nachrichten – ausgerechnet aus seiner Lieblingsgemeinde in Philippi, Nordgriechenland. Da gibt es Prediger, die nicht nur das Evangelium im Sinne haben, sondern noch von vielen anderen Motiven z.B. persönlicher Eitelkeit und Geschäftemacherei getrieben sind. Diese Prediger haben sogar Erfolg. Sie haben ein einnehmendes Wesen – und Paulus wird langsam, aber immer mehr an den Rand gedrückt. Er kann nichts tun. Er sitzt im Gefängnis mit gebundenen Händen.
Das ist eigentlich eine Situation zum verzeifeln.
Aber Paulus schreibt unentwegt von der Freude. Freut euch, sagt er – und abermals sage ich: Freut euch!
Wie bitte? – fragen wir. Bekommt Paulus vielleicht gar nicht mehr mit, was da alles so läuft. Redet er sich in etwas hinein, damit die Wirklichkeit nicht gar so schmerzlich wirkt? Macht er sich bloß etwas vor? Baut er sich eine Schein- o. Wunschwelt auf?
Oder aber meint er vielleicht eine Freude, die aus einer ganz anderen Tiefe kommt- aus der tiefsten Schicht der Seele? Es könnte ja sein, dass Paulus gerade durch seine schlimmen Erfahrungen auf eine Schicht in sich gestoßen ist, die ihn unangreifbar macht, weil sie ihm niemand nehmen kann. Er wird nicht krank, er verzweifelt nicht, er wird nicht depressiv oder niedergeschlagen, weil er sich ganz auf diese andere innerste Kraft konzentriert. Freude nennt er sie.
Und so geht es dann auch weiter: Zeigt eure Güte, die in eurem Herzen wohnt, den anderen Menschen. Sorgt euch nicht! Eure Sorge verändert ja nichts. Sie belastet das Leben nur auch noch und macht es noch schwerer. Wenn ihr einen Mangel verspürt, haltet ihn Gott hin. ER sorgt.
Und nun kommt sein Spitzensatz:
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahrt euch in solcher inneren Stärke.
Wir gebrauchen unsere Vernunft, um das Leben zu lenken und zu meistern. Das ist gut und vernünftig. Aber es reicht nicht aus. Damit allein lösen wir nicht alle Probleme. Es gibt eine höhere oder tiefere Vernunft, eine andere Kraft. Die gibt uns erst den Frieden.
Der Herr ist nahe.
Aus diesem Glauben lebt Paulus. Deshalb freut er sich. Weil Gott nahe bei ihm ist, und er Gott nah und näher kommt,- das versetzt ihn in Freude.
Freude ist also solch ein Vitamin, das die Seele immunisiert, und das dann auch den Körper gesund erhält.
Damit stehen wir aber nun vor der Frage: Wie finde ich denn dieses Vitamin? Wie kann ich es zu mir nehmen?
Ich kann es doch nicht einfach machen,- wie ich mir morgens zum Frühstück einen Orangensaft auspresse.
Nein, machen kann man dieses Vitamin „Freude“ nicht. Muss man auch nicht,- weil es schon in uns steckt. Es ist uns schon ins Herz gelegt. Ich muss es nur hervortreten lassen, ans Tageslicht bringen.
Neulich habe ich in einem wirklich guten Ratgeberbuch einen guten Ratschlag gelesen: Man soll ein Tagebuch der Freude anlegen. Nicht ein Tagebuch, wo man alles hineinschreibt. Da steht ja dann auch wieder soviel drin, was einen nur hinunterzieht. Vielmehr: jeden Abend zwei oder drei Dinge aufschreiben, die mir heute Freude gemacht haben. Auch Fotos oder Bilder kann man hineintun. Glückliche Situationen. Im Laufe der Zeit wird daraus ein Kraftbuch. Wenn ich darin lese und verweile, werde ich mich freuen.
Liebe Gemeinde,
Kinder freuen sich auf Weihnachten. Weihnachten ist ein Vitaminfest ersten Ranges. Da wird man in der Regel nicht krank. Und wir haben uns als Kinder – denke ich – auch auf Weihnachten gefreut. Wenn man erwachsen ist und sogar alt geworden ist, wird das anders.
Anders ja,- aber die Freude soll doch nicht verschwinden! Dann wäre unser Leben nur arm geworden oder vielleicht sogar krank. Wir sollten der Freude eine Chance geben. Sie ist leiser geworden, aber vielleicht auch viel tiefer.
Vielleicht können wir einander auch mit Paulus sagen: Freut euch! – und abermals: Freude! Gott ist nahe – so kurz vor Weihnachten allemal. Zeigt eure Güte! Das macht Freude. Es erfreut den anderen und es erfreut euch selber auch.
Und schreibt es in ein Buch. Wenn noch keins da ist, kann man es sich oder auch jedem anderen zu Weihnachten ja schenken.
Wahrscheinlich werden wir erstaunt sein, wie viel Freude wir wirklich – immer noch und immer wieder – haben.
AMEN

Sonntag, 14. Dezember 2008

Predigt über "MARIA - Mutter und Prophetin"

Predigt zum 3. Advent über Lukas 1,46-56

Liebe Gemeinde,
vor einigen Wochen haben wir dort rechts in der Ecke unsere Marienfigur aufgestellt. Ich sage „unsere“, weil sie extra für uns von einem ehemaligen Gemeindeglied geschnitzt wurde. Leider ist der Stifter vor kurzem gestorben.
Für die katholischen Christen ist es nicht ungewöhnlich, dass wir eine Madonna haben. In jeder katholischen Kirche steht ja eine. Evangelische Christen müssen sich erst gewöhnen. Aber es lohnt auch, sich zu gewöhnen, denn Maria, die Mutter Jesu, ist für alle Menschen bedeutsam. Selbst die Moslems verehren sie.
Unsere Kirchen sind in der Regel von männlichen Symbolen bestimmt. Jesus am Kreuz z.B. steht überall im Zentrum. Da ist es gut, dass wir neben diesem Symbol von Macht, Gewalt und Unrecht, einem Widerspruchssymbol, auch noch ein ganz anderes hier haben.
Gott selbst hat ja ganz verschiedene Seiten. Neben der herrscherlichen und richterlichen Seite steht seine Barmherzigkeit und Liebe, sein Schutz, seine Nähe.
Alles das wird uns in der Maria ansichtig.
Allerdings: Maria gehört nicht in die Mitte. Sie gehört an die Seite, an den Rand. Jesus selbst hat sie oft dort hingestellt. Denken wir nur an den 12jährigen Jesus, der zu seinen Eltern, die ihn suchen, sagt: Ich gehöre zu meinem himmlischen Vater. Ihr müsst da zurücktreten.
Oder ein andermal als Nachbarn zu Jesus sagen: Draußen stehen deine Mutter und deine Brüder,antwortet Jesus ziemlich hart: Wer sind meine Mutter und meine Brüder? Nicht die, die es von Fleisch und Blut her sind, sondern die, die den Willen Gottes tun. Das ist meine wahre Familie.
In einer anderen Geschichte aber wird deutlich, dass die „ Maria am Rande“ eine ganz wichtige Rolle spielt. Als bei einer Hochzeit der Wein ausgeht, übernimmt Maria die Vermittlerinnen-Rolle zwischen Jesus und den anderen Leuten. Es geht in der Geschichte nicht darum, dass aus Wasser Wein gezaubert wird – sozusagen als Kunststückchen. Es geht darum, dass aus allem, was nur Wasser ist, etwas ganz Neues, viel Tieferes, etwas mit tieferem Gehalt wird. Die Menschen, die Welt, die Riten und Gebräuche sollen sich durch Jesus wandeln. Alles Verwässerte soll Wein werden. Da hört Maria die Bitten und Wünsche der Menschen. Sie spürt ihre Sehnsucht. Gerade als Frau ist sie sensibler und feinfühliger. Was sie spürt, sagt sie ihrem Sohn. Sie bittet für die anderen: Verwandle in Wein! Er ist ihnen ausgegangen. Sie haben keinen Wein mehr.
Jesus weist sie wieder streng zurück und setzt sie an den Rand. „Weib“, sagt er schroff, - meine Stunde, der richtige Moment dazu ist noch nicht da – und du zwingst mich auch nicht da hinein.
Trotzdem bleibt Maria auf ihrer Spur. Was er sagt, das tut, sagt sie den anderen, als hätte sie die richtige Botschaft für diesen Augenblick.
Maria vermittelt also. Wie eine Mutter tritt sie für die Kinder ein. Und die Kinder fühlen sich bei ihr geborgen und gut aufgehoben. Sie weiß Rat und ahnt das Richtige.
Diese Rolle einer Vermittlerin – das ist überhaupt die wichtigste Rolle, die Maria hat. Manchmal ist es ja gut, dass nicht alles schonungslos direkt geht. Manchmal ist es gut, dass uns jemand zur Seite steht, dass sich jemand für uns einsetzt. Wir fühlen uns dann selber stärker.
Maria ist nun wirklich die Gott-Vermittlerin schlechthin. Durch sie kommt ja Jesus buchstäblich in die Welt. Sie vermittelt ihn der Welt. Sie ist die Mutter.
Je höher man Jesus nun als Gottes-Sohn oder gar als Gott selber dogmatisiert hat, desto höher hat man auch Maria tituliert. Gottes-Gebärerin oder Gottes-Mutter, Mutter Gottes hat man sie genannt und das ausgerechnet zuerst in Ephesus, wo in heidnischer Zeit berühmte Muttergottheiten verehrt wurden. Da ist einiges zusammengeflossen, und es besteht womöglich die Gefahr, dass Maria auf einmal sogar noch wichtiger wird als Gott. Als wäre sie die Gottes-Basis, seine Mutter.
Dann ist es gut, sich daran zu erinnern, dass Jesus Maria an den Rand gerückt hat. Da ist sie wichtig, da soll man sie auch lassen. Niemand soll sie ins Zentrum rücken, aber niemand soll sie auch ganz aus dem Bild drücken als bräuchte man sie nicht.

Noch eine andere Frage ist wichtig, wenn wir über Maria nachdenken.
Was für eine Maria meinen wir denn, wenn wir von ihr sprechen?

Maria ist im Laufe der Jahrhunderte zur Projektionsfläche für viele Bilder und Ideen geworden. Menschen haben ihre Vorstellungen und Wünsche in sie hineingelegt.
Auch unsere Maria hier in Alanya ist nur ein ganz bestimmtes Bild. Sie ist eine junge, hübsche, mädchenhafte Frau, etwas verspielt, fast süßlich zu nennen. Man könnte ihr jedes Baby in den Arm legen. Dieses liebliche Bild hat für die Gefühle vieler Menschen eine große beruhigende Rolle gespielt. So lieblich und schön,- da stellt man sich gerne unter ihren Schutz oder in ihre Nähe.
Das Bild der Maria in der Bibel ist aber ganz anders. Die Bibel zeigt eine aufgewühlte und aufwühlende Maria.
Ich muss etwas weiter ausholen: Mose hatte eine Schwester, die hieß auch Maria. Miriam. Nach dem gefährlichen Auszug aus Ägypten, wo es um Leben und Tod ging und Sieg oder Untergang auf Messersschneide stand, singt und trommelt die Miriam, als alles glücklich vorüber war, kraftvoll ein Siegeslied. Das ist eine politische Maria. Sie weiß, dass die Welt sich jetzt ändert, ja geändert hat.
Davon weiß die Maria aus Nazareth auch viel. Wir haben es in ihrem Lied, dem Magnifikat, gerade gehört: Du, Gott, hast meine Niedrigkeit angesehen und große Dinge an mir getan. Mir, der Magd. Alle Menschen werden mich ewig preisen. Warum denn?
Weil Maria ein Modell dafür ist, wie Gott handelt. Er macht klein, was sich menschlich groß und mächtig brüstet, was sich wichtig vorkommt und wichtig nimmt. Und er erhebt die Niedrigen. Das tut er immer so – jedenfalls auf lange Sicht, auch wenn die Menschen es nicht immer sofort erkennen.
In dem Lied der Maria wird eine ganze Weltordnung umgestürzt. Das alte, schale Wasser aller menschlichen Verhältnisse soll endlich tiefer, guter Wein werden.
Maria ist dafür selber ein 1. gutes Beispiel. Durch sie tritt das Gottes-Zeichen – Jesus – in die Welt. Wenn wir auf ihrer Seite stehen, wird sie bei uns sein – und wir werden uns in ihr und - ebenso wie sie - in Gott geborgen fühlen. Wir werden Gottes Kraft selbst in uns spüren und in uns wissen – je tiefer unten wir sind oder uns fühlen.

Liebe Gemeinde,
wir gehen auf Weihnachten zu – mit schnellen Schritten. Das ist ja unser schönstes christliches Fest: Gott selbst kommt in unsere Mitte und er verwandelt stetig die Welt. Das fängt immer neu im Herzen von Menschen an. Aber die Welt braucht es auch immer wieder und immer dringlicher. Es ist viel Unglück und Unrecht durch unsere Religion in die Welt gekommen. Aber wer weiß, wie die Welt wohl aussähe, wenn es die Intervention Gottes nicht gegeben hätte und gäbe? Gottlosigkeit ist nach allem, was wir überall sehen, keine Gewähr dafür, dass irgendetwas in der Welt oder für die Menschen besser wird.
Gepriesen sei deshalb die Frau, durch die die größte Intervention Gottes, der größte Einspruch Gottes in die Welt gekommen ist: Maria – die Mutter Jesu. Die Prophetin Gottes. Sie ist uns Vorbild und Hilfe zugleich. Deshalb steht sie da an unserer Seite, am Rande. Und wenn wir ein ganz besonderes Anliegen haben, eine Bitte, einen tiefen Wunsch, können wir vor ihr eine Kerze anzünden oder eine Blume an ihren Platz legen, damit Gott uns sieht und hört.
AMEN

Sonntag, 7. Dezember 2008

Zacharias und Elisabeth - ein älteres Ehepaar

Predigt zum 2. Advent - Lukas 1,5-25

Liebe Gemeinde,
Zacharias und Elisabeth sind ein altes, oder sagen wir älteres Ehepaar. Zacharias ist Tempelpriester in Jerusalem. Das Ehepaar ist kinderlos – und das ist in diesem Falle besonders schmerzlich, weil man in Israel das Priestertum vom Vater auf den Sohn vererbt. Zacharias hat also keinen Erben, und Elisabeth fühlt sich daran schuldig. Es ist eine Schmach. Sie kann nicht mehr mit erhobenem Haupt durch die Welt gehen.
Zacharias hat lange Zeit gehofft, aber jetzt hat er das Hoffen aufgegeben. Es wird nichts. Mit der Enttäuschung muss man leben.
In diese Situation kommt nun ein Engel. Wir kennen sogar seinen Namen: Gabriel. Er ist der Verkündigungsbote Gottes, sein Botschafter.
Was dieser Engel dem Zacharias zu sagen hat, muss diesem nun höchst wunderlich vorkommen: nun doch noch ein Sohn?! Das kann er nicht glauben und noch weniger annehmen.
Wir glauben es ja auch nicht – wenn es nur um die Biologie ginge. Aber es geht nicht um die Biologie oder die Medizin, um die Gynäkologie oder die Andrologie. Es geht um weitaus mehr.
Wenn etwas ganz Neues geschieht, Ungewöhnliches, etwas, was nicht aus dem Normalen abzuleiten ist, etwas, für das es keine normalen Erklärungen gibt, - dann hat die Bibel zwei Mittel, das deutlich zu machen. Einmal erreicht alte Menschen, die weit über die Zeit hinaus sind, das Neue – in diesem Falle ein Sohn. Das ist bei Abraham und Sara so, bevor Isaak geboren wird, und bei Hanna , der Mutter des Propheten Samuel und jetzt bei Zacharias und Elisabeth, den Eltern von Johannes dem Täufer.
Das andere Zeichen ist die Jungfrauengeburt, wie wir sie von Maria und Jesus kennen,- noch wunderbarer, noch unerklärlicher.
Interessant ist nicht die Frage, ob das biologisch-medizinisch wahr oder möglich ist, ob das überhaupt sein kann. Interessant ist, ob wir erkennen, dass damit das Ungewöhnliche, das absolut Neue beginnt.
Das will die Bibel mit solchem Geschehen ausdrücken: Jetzt geschieht etwas, was keiner erklären kann. Etwas, das aus dem Normalen herausfällt. Etwas, das nicht eine Fortsetzung des Alten und Gewohnten ist. Jetzt wird die Welt neu geschaffen.
Und so geht es nun auch bei Zacharias weiter. Der Sohn, den er haben wird, wird kein Priester werden. Er wird nichts erben oder einfach aus der Hand des Zacharias übernehmen. Johannes der Täufer wird ein Prophet sein.
Propheten aber beginnen immer mit dem Nichts. Sie stehen nicht in einer Traditionsreihe wie die Priester. Propheten beginnen aus Gott neu. Sie pfeifen auf Gewohnheiten und Traditionen, stehen kritisch zu ihnen, je heiliger sie sind.
Der Engel kehrt alles um. Bisher ging alles seinen traditionsreichen Lauf. Vom Vater ging es auf den Sohn und dann so weiter. Jetzt – sagt er – werden sich die Herzen der Väter bekehren zu den Kindern. Also es ist jetzt umgekehrt: die Väter folgen den Kindern.
Ein neuer Weg beginnt – und die Alten sollen sich auf das Junge verlassen, und nicht umgekehrt, wie es immer war.
Das glaubt Zacharias nicht. Das will er nicht glauben. Wo gibt es Anzeichen dafür? Woran soll ich deine Behauptungen als wahr erkennen? – sagt er.
Meine Frau und ich, wir sind alt – und wollen es auch bleiben. Neues ist nichts mehr für uns. Warum störst du uns und bringst Unruhe? – scheint er den Engel zu fragen. Wir haben doch schon abgeschlossen.
Ich bin Gabriel – sagt der Engel. Ich komme von Gott. Es ist so – und du wirst es nicht ändern. Deshalb wirst du jetzt schweigen, verstummen bis es geschehen ist.
Das ist keine Bestrafung, sondern eine Notwendigkeit. Zacharias muss seinen widersprechenden Mund halten, damit sich das Neue vorbereiten kann. Wenn es da ist, wird er auch wieder reden können. Er wird sich einstimmen auf das Neue, sich bekehren zu seinem Kind, sich ihm mit dem Herzen zuwenden.
Er tut es dann auch so. Genauso geschieht es. Er schweigt, und als er den Mund wieder aufmacht, spricht er nicht nur, er singt gleich ein Lied: Ich singe die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes, durch die uns besuchen wird das aufgehende Licht aus der Höhe.
So kommt das Neue in die Welt.
Von Elisabeth hören wir in der ganzen Geschichte nicht viel. Sie lässt das Neue geschehen. Sie wird von der schwangeren Maria besucht – und beide schwangere Frauen freuen sich gemeinsam über das Unbegreifliche.

Aber, liebe Gemeinde, was soll das Ganze nun? Ist das nur eine schöne Geschichte aus alter Zeit? Schön anzuhören, aber sagt sie uns auch etwas?
Gewiss. Mit ihr ist auch uns ein Zeichen gegeben.
Wir leben so oft in eingefahrenen Gleisen. Erst recht, wenn wir alt und älter werden. Wir denken gerne, dass da nichts mehr kommt. So sind wir es zufrieden. Es ist gut, dass alles so bleibt, wie es ist. Mein Leben ist ja gelaufen. Warum soll ich mich noch um Neues kümmern?
Menschen, die lange hier leben oder lange hier Urlaub machen, leben ja in gewisser Weise wie auf einer Insel. Man sieht zwar Fernsehen, aber überwiegend doch die Unterhaltungsprogramme.
Es könnte ja sein, dass sich im Moment ganz viel tut in der Welt – und wir kriegen es gar nicht richtig mit. Zig Tausende – vor allem in Amerika - haben auf Pump gelebt und sich mit billigen Krediten ein Leben erkauft, das noch gar nicht erarbeitet oder verdient war. Jetzt stagniert der ganze Laden. Und wieder soll mit neuem Pump-Geld der Motor angekurbelt werden, obwohl er doch schon heiß gelaufen ist. Wie lange soll das noch so weitergehen?
Wir wollen gerne im Alten weitermachen – wie Zacharias. Wie aber – wenn uns ein Neues bestimmt ist?! Und nicht bei den Jungen soll es beginnen, sondern gerade die Alten sollen es zuerst erfahren und begreifen: es geht nicht immer so weiter. Aber es geht auch nichts einfach zu Ende. Weltuntergang ist nicht. Es kommt ein anderes, ein Neues – und vielleicht ist es ja besser als die alte kapitalistische Pump- u.Kreditgesellschaft mit ihrer Menschenausbeutung, Umweltzerstörung und ihrem Konsumwahn.
In der vergangenen Woche rief mich jemand an, um mir zu sagen, dass er am letzten Sonntag beobachtet hätte, dass die Leute mit demselben versteinerten Gesicht den Gottesdienst verlassen hätten, wie sie in ihn hineingekommen wären. Ob das nicht frustrierend für mich als Prediger sei? Eigentlich hätte doch der Engel jedem etwas Befreiendes ins Ohr flüstern müssen, etwas Neues, das froh und glücklich macht.
Ja, weiß ich und mein Anrufer denn, ob der Engel das nicht vielleicht sogar doch getan hat?!
Manche müssen wie Zacharias erst einmal stumm werden, bevor sie das Neue erkennen, begreifen und wirken lassen.
Die Weihnachtsgeschichte, auf die wir ja zugehen, kündet uns immer – jedes Jahr – das Neue. Gottes Neu-Anfänge – ob sie psychisch oder politisch, vielleicht sogar oekonomisch zu verstehen sind. Die Weihnachtsgeschichte will unser Herz berühren, dass es lebendig bleibt – egal wie alt wir sind. Solange wir leben.
Dasselbe sagt uns heute schon die Geschichte von Zacharias und dem Engel Gabriel: Hör nur in dich hinein! – sagt sie. Höre auf Gott!- dann wird alles neu – auch Du und Dein altes Herz.
AMEN