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Montag, 30. Juni 2008

Predigt zum Fest Peter und Paul - am 29.Juni 2008

Liebe Gemeinde,
die Katholische Kirche feiert heute das Fest Peter und Paul – und sie erinnert damit an e i n e m Tag gleich an zwei der größten Männer christlicher Geschichte. Als wäre der Kalender nicht groß genug, so dass jeder der Apostel einen eigenen Tag haben könnte, wie die anderen auch. Aber es wird kein Zufall sein, dass man an die beiden so unterschiedlichen Männer an e i n e m Tag denkt als wollte man sie zusammenhalten. Auch für die evangelische Kirche sind die Aposteltage wichtig. So wollen wir heute über beide – Petrus und Paulus – nachdenken.

Was beide Apostel verbindet ist schnell gesagt:
Beide sind Juden von Ursprung her: beide sind Christen geworden – auf unterschiedliche Weise, aber doch als Bruch des Lebens erfahren; beide sind Missionare und Säulen = Apostel der christlichen Gemeinden; beide haben handfeste Berufe – Fischer der eine, Zeltmacher der andere -; Petrus wird etwas älter gewesen sein als Paulus; beide sind in Rom – ziemlich zur gleichen Zeit – den Märtyrertod gestorben.
Das ist es aber schon – mehr oder weniger.
Unterschiede und Differenzen sind weitaus größer:
Petrus hat Jesus persönlich gekannt, Paulus nicht. Er hält es auch nicht für so wichtig, wie er einmal schreibt. Wichtig ist ihm, was man ü b e r Christus sagen kann und nicht, was Jesus sagte oder tat.
Petrus war Apostel von Anfang an. Er ist einer der ersten Zeugen des Auferstandenen. Alles ist für ihn ganz konkret. Paulus war bekanntlich zuerst Verfolger und „sieht“ Jesus dann „nur“ in einer Vision – also geistig, in einem neuen Bewußtseins-Zustand. Er muß darum kämpfen,“Apostel“ genannt zu werden. Zum Kreis der ersten Zwölf hat er nie gehört. Er war ein später „Hinzugekommener“,- wie er selbst schreibt.
Petrus war palästinensischer Jude, Hebräer und blieb lange so erd-u.volkverhaftet. Paulus kam aus der Diaspora, aus Tarsus, war auch griechisch gebildet und kosmopolitisch orientiert. Sein Feld war die ganze Welt – von Anfang an.
Petrus war der Kirchenpolitiker, der Gemeindemann aus Jerusalem. Er repräsentierte die Tradition. Er dachte und handelte praktisch und pragmatisch. Paulus war der Denker, der Theologe, er hat theologische Theorien erdacht, konnte Begriffe bilden und gebrauchen und hat theologische Konsequenzen gezogen. Er war ein Neuerer. Er hat das Christentum geistig zu einer potentiellen Weltreligion geformt und davor bewahrt, jüdische Sekte zu bleiben.
Petrus war fürs Praktische – aber da war er auch raumgreifend. Er blieb ja nicht in Jerusalem, sondern ging nach Antiochien und dann nach Rom.
Hier – auf dem internationalen Feld – kommen wir nun ans Eingemachte, an den eigentlichen Streitpunkt zwischen beiden Aposteln. Petrus und Paulus haben miteinander gestritten. Wenns sein mußte, ganz hart. Paulus schreibt im Galaterbrief(Kap.2): da widerstand ich dem Kephas ins Angesicht.
Um was ging es?:
Die frühen Christen standen vor der Frage, ob für sie das jüdische Kultgesetz – Beschneidung, Speisegebote, Reinheitsgesetz – noch Gültigkeit hatte oder nicht. Ob Christus sie von diesem Gesetz frei gemacht hat, oder ob es weiterhin notwendig war als von Mose und Gott gegeben.
Paulus war der Meinung: Wir brauchen es nicht. Unser christliches Gewissen spricht uns frei. Das war ganz folgerichtig: Wenn Christus das“ neue Gebot der Liebe“ ist, dann ist er die einzige Notwendigkeit. Von allen anderen Gebundenheiten und festlegenden Ordnungen, vom Gesetz macht er frei. Das ist die größere, weitere, universalere Haltung.
Petrus war da ein Wackelkandidat. Mal praktizierte er diese Freiheit auch, dann bekam er wieder Angst und ließ sich von Vorwürfen leiten oder von Rücksichtnahme auf sog. Schwache. Dann machte er den Befreiten wieder ein schlechtes Gewissen mit dem alten Gesetz.
Paulus widerstand ihm, d,h, er setzte sich durch. Er erkämpfte zumindest für seine Haltung einen Platz. Er konnte es so in seinen Gemeinden halten, wie er es als richtig erkannt hatte.
Da – auf dem Feld der Gemeinden – gab es eine weitere wichtige Differenz.
Es waren eigenartige Gemeinden, die Paulus begründet hatte. Von der in Korinth z.B. wissen wir einiges. Da ging es manchmal drunter und drüber: Reiche standen gegen Arme; Frauen gegen Männer; geistbewegte Enthousiasten (Zungenredner) gegen besonnene Kopfmenschen.
Paulus regelt die Dinge dort ganz vorsichtig. Nicht autoritär, indem er Machtämter einsetzt, sondern indem er an den Geist Christi appeliert. Er will, dass die Menschen von innen zur Überzeugung kommen. Mit ganzem Gemüt argumentiert er: mal ist er traurig, mal wütend. Mal hat er Erfolg, mal erleidet er Niederlagen. Da bewegt sich richtig was in den Herzen.
Petrus wurde später zum Kronzeugen für eine kirchliche Struktur, für die kirchlichen Ämter der Bischöfe bis hin zum Papst. Er war der erste im Amt – der Urapostel.
Paulus brauchte das alles nicht. Nur Christus allein, der Gekreuzigte und Auferstandene,- das war seine Devise. Es gibt in der Kirche verschiedene Aufgaben, aber keine Ämter, die einen Amtsbonus haben.
Wenn wir dahineinlauschen, merken wir, dass es zwei verschiedene Kirchen-o.Gemeindemodelle sind, die beide repräsentieren: Paulus ist da anders als Petrus und Petrus anders als Paulus.

Die Christen waren nie e i n e r Meinung, solange es sie gibt. Das ist auch gut so. Es bereichert und belebt, es führt weiter und voran. Es hält in einem lebendigen Denkprozess. Das eine begrenzt und befruchtet das andere – und umgekehrt.
Aber beide Apostel lebten in e i n e r Gemeinschaft. Sie haben sich nicht gegeneinander ausspielen lassen. Paulus hat sogar Kollekten für die anderen gesammelt.
Einmütigkeit heißt also nicht Eingestaltigkeit, sondern bedeutet eins sein in Verschiedenheit. Vielgestaltigkeit ist Reichtum, solange sie im Geist der Einheit vereint ist und sich zuarbeitet statt sich auseinanderzudividieren.
Petrus und Paulus gehören zusammen – deshalb ist es gut, dass sie einen Festtag haben. Würde man nur einem von beiden folgen, wäre das zu wenig für die Fülle und den Reichtum unserer großen und weiten Christus-Religion.
Eine kleine Geschichte am Schluß, die doch viel verdeutlicht und zusammenfaßt:
In Rom steht – wie alle wissen – der große Petersdom. Die größte Kirche der Christenheit und die Mutterkirche und Hauptkirche der kath. Konfessionskirche.
Als sich die Engländer im Zuge der Reformation von Rom trennten und als Anglikaner quasi halbe Protestanten wurden, baute man in London – ganz bewußt als Konkurrenz zum Petersdom – fast ebenso groß und ähnlich im Aussehen eine gewaltige Kathedrale. Man nannte sie St-Pauls Cathedral,
Paulusdom.
Das klingt so, als wollte man Petrus den Katholiken lassen und Paulus für die Protestanten reklamieren. Manches in Lehre und Verfassung der Kirche spricht dafür – beide Apostel könnten Typen, Urbilder verschiedener Kirchenformen sein – aber heute wissen wir: das ist nur die halbe Wahrheit.
Man soll Petrus und Paulus nicht auseinanderreißen. Sie haben Platz in einer christlichen Gemeinschaft. Ihr Tag ist e i n e r . Die christliche Gemeinde und die Kirche braucht beide Haltungen, beide Denkweisen, sonst macht sie sich selber arm und schneidet ein wertvolles Stück von sich ab.
Das versuchen wir auch überall zu leben, wo unterschiedliche Menschen eine Gemeinde bilden,- auch hier bei uns in der südlichen Türkei, in Antalya und Alanya.
Peter und Paul – Fest ist also eigentlich und wirklich ein Fest der Ökumene, ein oekumenisches Fest.
Christen gehören zusammen, wie Petrus und Paulus zusammengehören.
AMEN

Mittwoch, 25. Juni 2008

Streiflichter einer Gemeindefahrt

Auf den Spuren des Apostels - Streiflichter einer Reise im Paulusjahr
19. Juni - 23.Juni

1. Tag Vom Meer durch den Taurus nach Pisidien.

Die Strasse steigt ein bizarres Tal hinauf. Das Meer im Rücken – es ist schnell vergessen.
Jetzt sind es Felsen, Kiefernwälder, Schluchten, ein aufgestauter See und wieder Felsen, die mit Spitzen in den Himmel stechen. Paulus und Barnabas werden Tage für die Strecke gebraucht haben, wir stöhnen bereits nach 6 Stunden Busfahrt. So pilgert man heute. Wir – das sind 30 Christenmenschen – mehr oder weniger – aus den Gemeinden Antalya und Alanya in der Südtürkei.
Wir erreichen Antiochien in Pisidien – am Königsweg gelegen, der bis nach Susa/Persien führt.
Veteranenstadt. Völkergemisch: Griechen, Juden,Römer. 10 000 sollen es gewesen sein. Nicht viele Einwohner verglichen mit Rom, Korinth, Ephesos.
Aber es hat sich gelohnt (vgl.Apg.13). Am Sabbat ist die Synagoge voll – und Paulus sagt: Ihr seid gerettet durch Gnade und nicht durchs Gesetz.
Das ist eine neue Sprache. Man merkt auf. Will mehr wissen.
Am nächsten Sabbat ist die Stadt zu Gast. Jesus Christus – sagt Paulus den Veteranen; nicht Augustus, meint er, dem sie hier einen gewaltigen Tempel gebaut haben, von dem noch Reste zu sehen sind.
Wenn die Juden nicht hören, dann hören die Heiden. Die Welt ist größer geworden – und die Menschen sind in Wirklichkeit ja eine Menschheit.
Am Ende verjagt man den Redner, verfolgt ihn sogar noch auf der Hochebene, treibt ihn voran.
Wir schleichen durch die Ruinen. Die Sonne brennt heiß. Paulus war wahrscheinlich im Herbst hier. Da ging es ihm wenigstens vom Wetter her besser. Und er hat eine wichtige Erfahrung in dieser Stadt gemacht, bei der er dann auch bleibt: Hören meine Leute nicht, hören andere.
Es geht weiter nach Iconium, Konya, der frommen Stadt des Mevlana, der auch den Wein besang in seinen Versen. Aber Bier gibt es nicht in dieser Stadt – und das, wo heute abend Deutschland im Europacup spielt!
Das große Touristenhotel schafft es tatsächlich, kein Geld am Alkohol zu verdienen. Die Deutschen tragen ihre Dosen verstohlen aufs Zimmer – und hoffen, dass Allah schläft.

Zweiter Tag : Von der Hochebene um Konya wieder ans Meer. Der Bucht entlang nach Antakya, . Antiochien am Orontes.

Der Bus hält nicht an. Lystra bleibt rechts liegen, und Derbe links. Es gibt dort nicht viel zu sehen. Einen Hügel vielleicht, unter dem Trümmer vermutet werden.
In Lystra hat Paulus einem Gelähmten aufgeholfen – ähnlich wie Jesus (Apg.14).
Als man Barnabas, den Schweiger, zu Zeus und ihn, Paulus, den Redner, zu Hermes, dem Dolmetscher und Götterboten machen will, sagt er schlicht: Wir sind Menschen. D.h. Vergöttert nicht!
Daraufhin versucht man ihn zu steinigen. Die Steine liegen auch noch unter dem Hügel – vermute ich.
Die Hochebene ist weit und öde. Man schätzt die Weiten nicht. Es braucht Stunden bis die Berge am Rand näher kommen. Der Bus düst, die Menschen dösen.
Paulus hat den gleichen Weg wieder zurückgenommen und ist per Schiff von Attalia nach Antiochien a.O. Wir nehmen den Landweg. Mit dem Bus durch die kilikische Pforte, neben der Bagdad-Bahn, ebenso steil hinab, wie am Tage zuvor hinauf.
Dann wieder Meer,- aber es braucht noch Stunden bis Antakya. Da kommt erst noch Issos, wo sich Alexander mit Dareios schlug. Ein Schlachtfeld – und bald darauf ein anderes, ein modernes: die Stahlwerke von Iscenderun, die ihre Dreckfahnen weit in den Himmel werfen, als müßte man ihn unbedingt schwärzen.
Endlich Antiochien am Orontes – kurz vor Syrien. Der Fluß ist eine klägliche Kloake – und die Stadt,- na ja. Kaum zu glauben, dass das zu Pauli Zeiten die drittgrößte Metropole nach Rom und Alexandria war. Es ist wenig geblieben.
Aber Mosaiken im Museum. Mosaiken, sag ich, die können auch in Hercaluneum nicht schöner sein. Am neckischsten finde ich den betrunkenen Dionysos, der im Arm eines Begleiters hängt und seinen Wein aus der Trinkschale einem Hund zu schlürfen gibt. Man wirft also doch vor die Hunde, jedenfalls wenn man ein Gott ist.
Am Abend spielt die Türkei Fußball. Es gibt wieder Bier – und die Welt ist in Ordnung. Als die Türken nachts das Elfmeterschießen gewonnen haben, steht die Stadt Kopf. Nicht nur ein Feuerwerk – das wäre ja nichts Besonderes in der Türkei – aber ein Menschenzauber sondergleichen.: Sie tanzen, sie singen , sie schreien, Fahnenmeere, Hupkonzerte, Motorräder dröhnen und jaulen, Sprechchöre, Vorrufer und Nachbeter – wie in der türkischen Schule eingeübt - , die Welt scheint zu klein für diesen Jubel – und es scheint: ganz ohne Alkohol,- jedenfalls merke ich nichts davon.
Laut ist`s und die Nacht kurz. Die verknitterten Gesichter am nächsten Morgen erzählen schlaflose Geschichten.

Dritter Tag: Seleukia, Hafen und Titustunnel - Tarsus, Adana

Wir sind fast in Syrien. Da ist der Musa Dag, der Mosesberg. Werfel fällt mir ein. Armenier-Fluchtstätte. Ich müßte das noch einmal lesen.
Der Reiseleiter – scheint mir – spricht nicht gerne darüber. Man ist ja so tolerant in der Türkei – heute! Aber eigentlich war es schon immer so: Der Krieg 1923 war ei n Befreiungskrieg, die Griechenvertreibung ein Bevölkerungsaustausch, Armenier gab es gar nicht soviele, Christen ,- gibt es ja noch. Antakya ist die Stadt der Toleranz – sagt die Tourismuswerbung. Ja, es stimmt: am Vorabend um 18 Uhr hörte ich sogar einige Glockenschläge. So lasse man mal den Muezzin in Köln rufen. Mal schauen , wie tolerant wir Deutschen sind.
Vom alten antiken Hafen sieht man nur noch Reste der Kaimauern. Der Hafen ist verlandet.
Paulus ist hier ab – u. angereist. Heute ist Bauernland und Freizeitidylle hier: Felder und Strand. Durch den Felsen hat man einen Kanal geschlagen. Es gibt eine römische Inschrift: Titus, Vespasian.
Wir stolpern über die glitschigen Steine – und haben das Ganze für uns. Keine Touristen, nur wir paar Pilger auf der Suche nach Wasser. Es ist wieder heiß.
Dann: die Autobahn nach Adana. Aber auch sie zieht sich. Es ist eben alles relativ.
Um 17 Uhr sind wir schließlich in Tarsus. Alle im Festgewand.
Paulus von Tarsus, römischer Bürger einer nicht unbedeutenden Stadt in Kilikien(Apg. 21,39), Zeltmacher, Theologe, Pharisäer, Rabbi vielleicht, Christ, Redner, kleinwüchsig wahrscheinlich, kahl, keine Schönheit – aber überzeugt und für viele überzeugend, sich seiner Erfahrung ganz sicher, mutig und unerschrocken. Von niemandem – auch von Jesus nicht – gibt es im Neuen Testament ein menschlicheres, facettenreicheres Bild als von ihm, voller Farbe und Emotion. Er ist des Gedenkens wert.
Auch heute gibt es in Tarsus kaum Christen. Eine Handvoll spricht türkisch, die anderen sind vor allem Italiener, Deutsche oder von Irgendwo. Das ist die Festgemeinde derer, die gekommen sind, das Paulusjahr des deutschen Papstes zu eröffnen. Ein Kardinal ist dabei. Der alte Kasper, der seinerzeit schöne Lutherzitate in seiner Dogmatikvorlesung in Tübingen kommentierte. Wenn ich damals gewüßt hätte -als hoffnungsvoller Student-, dass ich ihm einmal in Tarsus die Hand drücken würde, um ihm zu sagen, er möge etwas für die Einheit der Christen tun, die wir hier in der Türkei doch schon leben in äußerster Diaspora!
Es ist das Vernünftigste, sagt er, was wir tun können. Ob die Vernunft reicht, das Vernünftigste zu tun?
Ein paar Bischöfe sind da, auch ein griechisch-katholischer,- aber sonst? Armenier, Protestanten, Syrer, Anglikaner – nicht sichtbar oder nicht identifizierbar.
Man betet, man singt. Die Presse ist da, das Fernsehen. Die beiden amerikanischen Nonnen werden gefilmt als kämen sie aus Hollywood.
Das türkische Touristikministerium hat manches gesponsert. Das merkt man bei der offiziellen Eröffnung am Paulusbrunnen. Es ist gut für die Türkei, tolerant zu sein. Und Paulus war Völkerapostel. Ob man ihn für das interreligiöse Gespräch wirklich reklamieren kann? Er war doch vor allem Missionar. Das dürfte weniger gefallen. Vor 2000 Jahren war er unaufhaltbar mutig. Daran fehlt es heute. Das Christentum scheint alt geworden.

Manche würden gerne länger bleiben, andern ist es genug,
Am Abend gibt’s wieder Fußball

Vierter Tag Nichts als Adana
Es ist Sonntag. Den Tag gönnen wir uns. Gottesdienst halten wir selber,- dafür müssen wir nicht noch einmal zu den Bischöfen nach Tarsus.
Dann wird geshoppt in Adana. Als wären die Hemden hier günstiger als in Alanya!
Auf dem Zentralplatz beobachte ich wie eine ziemlich alte Hure in Pluderhosen und geschminkt unter uralten Bäumen noch ältere Freier anmacht und abschleppt d.h. sie folgt dem Alten, der in Richtung Häuser schlurft, im dezenten Abstand von 50 Metern. Diese muslimische Welt ist auch interessant! Man muß nur Platznehmen und beobachten, dann merkt man, was in der Luft liegt.
Am Nachmittag fahren wir zum Stausee oberhalb Adanas, wo die Reichen ihre Villen haben. Wir essen Fisch im Yachtclub d.h. diejenigen essen, die keine Magen-Darmprobleme haben. Ich habe welche, leider.
Dann ist da noch die riesige Sabanci Merkez Moschee in der Stadt. Sechs Minarette – und Raum, Raum, Raum. 56 Meter mißt die Kuppel. 2,3 Kinder spielen Fangen unter ihr. Ein paar alte Männer beten. Wir Touristen schleichen mit unseren Kamaras etwas unsicher umher. Soviel Platz hat man geistlich selten.
Auch wenn der Tag entspannend war – wir sind wieder müde.
Trotzdem: noch eine Moschee. Ulu Cami. Altpersischer Stil. Klein mit großem Hof. Man betet im Freien anders als drinnen, selbst wenn der alte Raum heutzutage klimatisiert ist. Kein Dach zwischen Mensch und Gott. Man läuft ja auch nicht vor Betenden herum.
Dann bringt uns ein Dolmusch ins Hotel. Das ist schnell organisiert. Wir sind in der Türkei!
Am Abend: Fußball. Was sonst? Vollklimatisiert.

Fünfter Tag Heimwärts – entlang der Küstenstraße

Noch einmal 500/600 km – d.h. 10 Stunden, wenn nicht 12 im Bus.
Der Busfahrer ist ein Künstler. Nicht mehr jung, aber immer frisch. Unser Hamburger Architekt mit der Käpt`n Mütze sagt „Capitan“ zu ihm, was ihm sichtlich gefällt, auch dem Architekten gefällts. Die Küstenstraße ist Biegung pur – in alle Richtungen: links, rechts, nach oben, nach unten. Eine äußerst schmale Strasse, am Berg entlang, zumeist hart am Abgrund. Manche Frauen blicken stur geradeaus, wenn sie nicht stur in sich hineinblicken. Dann haben sies besser.
Aber die Aussicht entschädigt. Diese Buchten, dieses Wasser, diese Srände, dieser Wald!
Anamur, die alte Burg, ist nurmehr eine Zugabe. Jetzt reicht`s! Wir wollen nachhause!
Dankesworte runden alles ab.
Ja, es war schön. Ereignisreich,bedeutungsvoll. Herrliche Landschaft, moderne Städte, schöne Moscheen, geschichtsträchtige Steine, verträgliche Pilger – jedenfalls ist mir nichts anderes zu Ohren gekommen – Christen, die Wege suchen, Deutsche, die der Türkei und Türken begegnen – ein Unternehmen, das sich gelohnt hat.
Nicht nur Paulus ist es wert! Aber der auch!
Und:
Heute abend gibt`s kein Fußballspiel! Erst wieder übermorgen – halbfinal:
Deutschland : Türkei
Oder
Türkei : Deutschland
RAINER WUTZKOWSKY

Dienstag, 24. Juni 2008

Predigt über Römer 1,16 am Tarsus-Sonntag (22.6.08) in Adana

Liebe Schwestern und Brüder,
wir haben viele Orte auf dieser Reise gesehen, die Paulus gesehen und belebt hat: Antiochien in Pisidien, Iconium, Antiochien am Orontes, Seleukia, Tarsus.
Aber haben wir schon die Kernbotschaft des Paulus gehört?
Der Apostel erwähnt sie im Römerbrief. Dort schreibt er:
Ich schäme mich des Evangeliums von Jesus Christus nicht, denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben. Juden zuerst, dann die Griechen.

Warum schämt er sich nicht? Verkündigt er wie die Heilsarmee mit lauter Musik?
Ich glaube, die Scham oder eben die Freiheit davon reicht tiefer. Sie hat mit dem Evangelium selbst zu tun.
Markus, Matthäus, Lukas, Johannes – deren Bücher des Evangeliums gibt es noch nicht als Paulus schreibt. Paulus meint mit der frohen Botschaft ein lebendiges, nicht aufgeschriebenes Evangelium.
Eine Kernbotschaft, die im Kern berührt.

Alle Menschen schauen von Natur aus bewundernd nach oben:
Da steht das große heilige Gesetz, das zu erfüllen ist.
Da steht die Rasse, das Volk, die Nation, auf die man stolz ist, weil sie selbst ein Heilsweg zu sein scheint - ob Jude, ob Grieche, ob deutsch, ob türkisch.
Da stehen Stand oder Leistung: was ich bin, was ich aus mir gemacht habe.
Da steht manchmal auch die große mächtige Kirche im priesterlichen Ornat.

Von oben schaut man gerne nach unten: auf die Sünde, auf Verachtenswertes, auf vermeintlich Minderwertiges und Schwaches, ja auf Ohnmächtiges. Und man schafft durch Verachtung, Hochmut, Stolz, Einbildung und Strafe viele Kreuze, Verletzungen, ja Kriege und Gewalt.

Paulus macht es anders: er schaut zuerst nach unten - und erfährt das als Befreiung, als Evangelium.
Er muß nichts anderes sein als „Mensch“,- mit aller Schwäche, mit dem Kreuz, das ein jeder oder eine jede ist.
Vor Damaskus ist er aus dem hohen Sattel geschmissen worden, gewissermaßen von oben heruntergerissen worden. Bevor er neu sehen lernt und anders, hat er zuerst zu akzeptieren, eine Weile blind zu sein, ganz ohne Sehkraft zu sein, wie es ganz unten eben ist.
Paulus schämt sich der Schwäche nicht, denn es ist Evangelium, frohe Botschaft der Befreiung von Gott her. Gott setzt anders an als die Menschen. Er beginnt mit dem Kreuz - und Wachstum beginnt von unten. Das ist nun mal so.
Paulus hat eine Wahrheit gefunden, die allgemein menschlich ist: keine Rasse, kein Stand,keine Macht privilegiert vor Gott, sondern die Erlösungsbedürftigkeit aller. Es ist Gott zu glauben, dass er Erlösung auf dem Weg übers Kreuz bewirkt und dass daraus eine ganz andere fundierte Kraft wächst – von unten.
D i e s e s Evangelium gilt deshalb auch a l l e n Menschen: den Juden zuerst, dann den Griechen – also auch uns, allen.
AMEN

Sonntag, 15. Juni 2008

Predigten zum Vaterunser - 15.Juni 2008

Liebe Gemeinde,

wir wenden uns heute den letzten drei Bitten des Vaterunsers zu.
In den ersten drei Bitten, von denen wir an den vergangenen Sonntagen gehört haben, ging es um das Verhältnis des Menschen zu Gott. Gott ist dem Menschen voraus. Sie sind abhängig von Gott, seinem heiligen Namen, seinem Reich, seinem Willen.
Das sehen sie nicht gerne ein, und so bilden sich die Irrwege des Menschen, der alles "auf eigene Faust" versucht.
Am letzten Sonntag, bei der Brotbitte, haben wir das in materieller Hinsicht bedacht: Wenn wir uns nicht als von Gott Beschenkte sehen, werden wir nicht wirklich satt. Wir wollen immer mehr. Angst und Gier treiben uns in die Irre.

Bei den letzten drei Bitten geht es nun um den Menschen und seine Seele selber. Das ist die Frage: Wie geht der Mensch mit sich, seiner Seele und seinem Leben um?

Da begegnet uns zunächst das Thema"Schuld":" Und vergib, Du, Gott, uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern".
Die erste Satzhälfte ist die Bitte an Gott, aber die 2. Hälfte, an die die Bitte geknüpft ist, ist fast noch wichtiger. Das ist eigenartig: Gott möge sich so verhalten, wie wir uns verhalten. Unser Verhalten ist sogar Maßstab für sein Verhalten - und das gerade beim Thema der Schuld.
Das ist kein angenehmes Thema. Wir blenden es gerne aus. Wieso immer Schuld? Ist denn der Mensch so schlecht? - fragen wir.

Bei unserem Christlich-Islamischen Gespräch hat mich beeindruckt, mit welcher Selbstverständlichkeit die Moslems davon ausgehen, dass wir Menschen gut sind - und das wir Gutes tun können. Wir haben Gutes empfangen - ebenso sollen wir Gutes geben! Das ist ein Lebensgesetz. Positive Energie aufbauen - so hat es unser Dolmetscher mehrfach genannt.

Das ist gar nicht soweit entfernt von der 5.Bitte des Vaterunsers. Es geht da auch um Positive Energie. Es ist nur umgekehrt: Wir sollen etwas geben - Vergebung, wo uns andere schulden - , dann werden wir empfangen -Schuldvergebung, wo wir schulden.
Aber warum Schuld und Vergebung? Warum so etwas Negatives an der Wurzel des Menschseins?

Weil ein Verhängnis über dem Leben liegt - auch das ist ein Lebensgesetz - und dieses Verhängnis soll an der Wurzel bekämpft werden: Wo das Leben richtig gelebt wird, da sammelt sich Schuld. Das hören wir nicht so gerne ,- aber es ist so.
Wir leben überhaupt erst, weil anderes sein Leben gibt. Die Natur z.B. Tiere, Pflanzen, Luft, Wasser.
Noch gravierender: Was wir haben, haben wir anderen weggenommen. Sie können es eben nicht mehr haben, auch wenn sie wollen.
Tue ich einem etwas Gutes, schmerzt es den anderen - u.s.f.
Leben geschieht immer auf Kosten von... - und das sammelt Schuld.
Nun hätten wir gerne, dass man zuerst u n s vergibt. Ist ja alles nicht so schlimm - sagen wir. So ist es nunmal. Wir können ja nicht anders! Also: ungeniert weitermachen!
Aber die Bibel und Jesus wollen, dass wir z u e r s t Vergebung üben. Um Vergebung bitten.
Warum?
Weil es unsere Seele übt, weit und weich und warm zu werden und zu bleiben. Sie hat zu lernen, über ihren Schatten zu springen, den 1. Schritt zu tun, neue Wege der Versöhnung zu gehen.
Das alles bedeutet eine andere Lebenseinstellung. Wir leben aus der Vergebung, die wir gewähren.
Im Laufe des Lebens wird die Seele nur zu gerne hart und steif, wie der Körper alt und steif wird. Es gibt zuviele schlechte Erfahrungen. Da pocht man dann gerne auf Recht und Gerechtigkeit. Und alles läuft nach dem Motto: Wie du mir, so ich dir!
Aber: Wer nur Recht und Gerechtigkeit will, kriegt auch "nur" Recht - und das ist oft wenig, zu wenig zum leben.
Wer aber die Seele in Barmherzigkeit übt, bekommt Barmherzigkeit und er bekommt immer mehr als ihm von Rechtswegen zusteht. Er bekommt die Fülle!

Jesus möchte, dass wir unsere Seele so in Bewegung halten. Dass wir Starrheit, Rechthaberei, Selbstgerechtigkeit und Selbstzufriedenheit überwinden. Dass wir im Leben ein weites Herz gewinnen. So von uns angesteckt werden andere Menschen auch mit uns und unserer Schuld barmherzig sein - und Gott wird uns auf jeden Fall vergeben. Denn er hat das größte Herz.


Noch ein Blick auf die beiden letzten Bitten.
Die vorletzte Bitte ist am schwersten zu verstehen. Man versteht sie nur, wenn man sie mit der letzten zusammensieht. Es geht auch um eine Herzensübung.
"Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen"
Was ist das - eine Versuchung?
Zunächst einmal sind Versuchungen wichtig fürs Leben. Wir kommen nicht an ihnen vorbei, wenn wir richtig leben lernen wollen. Versuchungen sind Proben, die wir bestehen oder verfehlen.
Versuch doch mal - und versuch es immer wieder, bis du es gelernt hast. So sagen wir es den kleinen Kindern.

Anders ist es, wenn wir als Erwachsene uns heimlich sagen: Ich versuch`s mal. Vielleicht merkt`s ja keiner. Meistens geht es dann um Betrug.
Wenn wir aber den richtigen Weg finden wollen, wenn wir moralische Menschen werden wollen, brauchen wir Versuche, auch wenn sie uns an Grenzen führen und wir so lernen müssen, "Nein" zu sagen.
So weit, so gut!

Das Vaterunser meint aber wohl noch eine ganz andere Art von Versuchung. Die geht noch viel tiefer.
Solange im Leben alles glatt und gut läuft, ist es ja gut. Aber was ist, wenn die Nackenschläge des Lebens kommen: Krankheit, Unfall, Ruin, persönliche Verletzungen, Scherbenhaufen?
Das alles verstehen wir als die eigentlichen Versuchungen. Wir zweifeln dann schnell an der guten Grundstruktur des Lebens und wollen nicht mehr. Oft zweifeln wir dann auch an Gott. Und manchmal verzweifeln wir sogar.

Kann Gott in solche Versuchungen führen? Ist das nicht eher die Aufgabe eines Teufels?

Ja, Gott kann es wirklich. Hiob hat es so erlebt und Jesus vor seinem Tode auch.
Was Gott damit will, was er uns so sagen will - das wissen wir oft nicht.
Ob er so unsere Seelenstärke erprobt, unsere Kraft? Ob er die Seele knetet bis sie schmerzt und ob er sie so formen will? Ob er das Leben so ernst und tief macht? Wir wissen es nicht. Aber wir dürfen auch nicht zynisch werden - angesichts solch furchtbarer Versuchungen. Sie bleiben eine o f f e n e Frage - nach deren Antwort wir ein Lebenlang suchen.

Um eines aber bitten wir nun doch. Niemand wird sich solche Versuchungen ja wünschen. Gott möge uns das ersparen. Er möge uns n i c h t in Versuchung führen, sondern uns von dem Bösen erlösen. Das eine ist der dunkle Gott, das andere der helle. Das Helle aber ist Gottes eigentliche Aufgabe. Und da sind wir wieder - wie am Anfang des Gebetes - ganz von Gott abhängig.

Ich fasse zusammen:
Wenn wir richtig leben, kommen wir an Schuld und Versuchung nicht vorbei. Beides hängt ja oft sogar zusammen. Das ist notwendiges Böse. So lernen wir Kraft und Stärke. So bewährt sich unsere Seele und sie weitet sich im Laufe des Lebens, statt eng und hart zu werden.
Aber Gott möge uns vergeben und bewahren - uns vom Bösen erlösen.
Deshalb rufen wir immer wieder: Vater unser im Himmel. Und das ist gut so! AMEN

Drei Gemeinde-Miniaturen aus Alanya

Wir sind alle Strandgut, Treibholz, das irgendwie hier angelandet ist - sagt eine Frau.
Wieso meinst du das? - fragen die anderen.
Weil wir wie Strandgut aus unseren alten Zusammenhängen gerissen sind. Bei der einen ist die Ehe auseinander, bei der anderen sind die Kinder zerstreut, bei dem dritten ist die Firma pleite oder der Betrieb hat einen als Frührentner ausgespuckt. Da läßt sich noch vieles denken.

Andrerseits: eine ganz andere Frau - nicht aus diesem Kreis - macht aus Treibholz Plastiken, Ketten, Armbänder, Segelboote, Engel, ein Kreuz.

Man muß das Strandgut nur in neue Zusammenhänge einfügen, dann wird selbst aus Treibholz noch ein Schmückstück.
Welch ein Symbol auf den Menschen!



Eine Frau bringt mir ein Foto, auf dem Hase, Katze und Hund zur selben Zeit, am selben Ort - also zugleich - abgebildet sind.
Sie vertragen sich - mehr oder weniger:
Szenen aus dem Gemeindeleben. Ja, genau: Hund und Katze und manchmal sogar noch ein Hase
(oder eine Häsin).


Was der Raum kann, kann ich auch - dachte der Pastor, als der Schweiß ihm letztens unter seinem schwarzen Talar in Strömen den Rücken hinunterfloß als hätten Rhein, Main,Neckar,Mosel zur selben Zeit Überschwemmung.
Daß Predigen so ins Schwitzen bringt! Schwerstarbeit - anscheinend.

Der Raum hatte sich übrigens weiß geschmückt: ein neuer Ambo, ein Altartisch mit weißer Spitzendecke, helles Licht, helles Holz. Alles hell - nur der Pastor schwarz.
Also muß auch dieser sich von schwarz auf weiß wandeln, und geistliche Mode neu kreieren.

Was der Raum kann, kann er auch -
und die Predigt ist weniger schweißtreibend außerdem - wenn auch Schwerstarbeit.

Donnerstag, 12. Juni 2008

Pastors türkische Miniaturen

1.) Im Schreibwarenladen an der Ecke steht ein junger Norweger neben mir. 14/15 Jahre alt, strohblond – wie sie eben sind. Do you have … und dann weiß er nicht, wie er`s sagen soll. Also zeichnet er. Er zeichnet ein langes Rechteck mit Maßeinteilung.Oh! Der Ladenbesitzer bringt ein Thermometer. Nein, sage ich: Lineal, Lineal!Ah! Sagt der Besitzer. Er bringt vier oder fünf zur Auswahl. Der Norweger wählt. How much?
Der Chef holt seinen Rechner und zeigt eindeutig 15 an. Der Norweger zückt einen Packen Scheine und zieht schließlich ohne zu zögern einen 50 Lireschein. Die Gegengeste ist abwehrend. Der Ladenbesitzer holt einen 5er aus der Norwegerhand und gibt 3,50 in Münzen zurück. Natürlich, zeigt er, da fehlt auf dem Rechner der Punkt.
Alle lachen.
Ja, mein Gott,- für 15 Lira könnte man ja fast den halben Laden kaufen.
Ob der norwegische Junge etwas gelernt hat?
Drei Stunden später kaufe ich bei meinem Lebensmittelkrämer ein: 13 Lira. Er gibt mir auf meinen 20er Schein 8 zurück.
Ich reiche ihm die eine Lira über den Tisch. Tip-Box sagt er lachend.
Die türkische Ehrlichkeit färbt schon ab – merke ich.
II) Wir sind alle Strandgut, Treibgut, das irgendwie hier angelandet ist – sagt eine Frau.
Das verstehen nicht alle im Kreis. Wieso meinst Du das – fragen sie.
Weil wir wie Strandgut aus unseren alten Zusammenhängen gerissen sind. Bei dem einen ist die Ehe zerbrochen oder die Familie auseinandergerissen. Beim andern ist die Firma pleite oder der Betrieb hat ihn als Rentner ausgespuckt.
Da läßt sich noch vieles denken.
Aber das gibt es dann auch: Eine andere Frau macht aus angelandetem Treibgut kleine Kunst-Plastiken, Ketten, Armbänder.
Man muß das Strandgut nur in neue Zusammenhänge einfügen, dann werden aus ihm Schmuckstücke,- Sinnvolles auf jeden Fall.
III) In einem winzigen Restaurant am Burgberg arbeitet ein noch kleiner Junge – 12, 13 Jahre alt – als Kellner.
Er gehört nicht zu meiner Familie, meine Kinder sind groß, sagt die Wirtin. Er arbeitet hier.
Er trägt stolz die Speisen auf, räumt flink ab, spricht ein paar Worte Englisch, findet die Fremden interessant.
Ein Arbeitsleben beginnt, wo man in Deutschland noch nicht an die Mittlere Reife denkt und noch lange keinen Beruf weiß, zu dem man sich einmal ausbilden lassen
könnte.
IV) Die Kellner vor den Restaurants taxieren genau, welche Sprache sie bei welchen Touristen benutzen sollen.Einer sagte neulich zu mir: Hey! Tack sa mycket, war sa gud! Also: Hallo,danke, bitte –
Schwedisch total.
Sprachgewandt sind sie ja. Das muß man ihnen lassen.
V) Wenn Du Souveniers kaufen willst, mußt Du handeln. Das geschriebene Gesetz auf den Preisschildern ist die Hälfte von der Anzeige. Euros sind getrost als Liras zu nehmen. Aber sie handeln wie die Weltmeister: erzählen wie wertvoll das Material ist; das alles Handarbeit ist, auch wenn die schablonierte Stanzarbeit von weitem zu erkennen ist.
Manchmal werfen sie ein Körnchen Weisheit in die Verhandlung:
Du bist zu hektisch, machst zuviel Stress – sagte neulich einer zu mir.
Willst Du einen Tee?
VI) Manchmal sind auch ganz fromme Christen hier in der Türkei gelandet. Frag nicht wieso und warum.
Vielleicht sogar, weil hier alles angefangen hat. Paulus muß ja wohl den einen oder andren Weg gegangen sein. Er hat dieselbe Luft geatmet, dieselbe Sonne gesehen, auf demselben Berg gestanden.
Aber deshalb muß man die Moslems nicht zu Christen machen.
Sie ahnen anderes von Gott als die, die zu Christus beten.
Das Gleiche – nur anders.
VII) Kulturbegegnung am Strand
Erstaunlich, wie still es am Strand ist. Manchmal hört man nachbarliches Gewisper. Genug, um zu erkennen, welche Sprache gesprochen wird. Viele halten sich still an der Bierflasche fest.
Man hört den Wellenschlag des Meeres. Hier liegen Deutsche, da Schweden. Die Sonne brennt langsam die blonde Haut rot.
Neulich war es anders:
5,6,7,8 o. 9 junge Leute mischten den Strand auf in lautem, breitestem Amerikanisch. Alle farbig, tief schwarz sogar. Herrliche, prächtige Körper: Die Männer muskelbepackt von der Stirn bis zum kleinen Zeh; die Frauen rund, weiblich, tiefschwarz in weißleuchtenden Badeanzügen. Viel schöner als weiße Haut in schwarzen Bikinis je sein kann.
Alle sprangen nach links und nach rechts, quer durch die Reihen, zum Wasser hin, laut quakend sich einander in die Wellen werfend. Fotos plaziert und wieder zu den Liegen und wieder ans Wasser. Ein bißchen wasserscheu schienen sie mir aber doch.
Es war richtig was los – eine Stunde lang.
Die schwedischen Mädchen vor mir dösten weiter in der Sonne und die Männer hielten sich still an der Bierflasche fest.
Rainer Wutzkowsky