Liebe Gemeinde,
„Integration von Türken und Deutschen in Deutschland und der Türkei“ – so lautete das Thema eines Kongresses im letzten Jahr in Konakli, an dem Pfr. Korten und ich zusammen mit Gemeindegliedern aus Antalya und Alanya teilnahmen. Ein zeitgenössisches Thema – ein altes Thema. „So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge – sondern Mitbürger und Hausgenossen.“ So haben wir in der Epistellesung dieses Sonntags gehört, die zugleich Predigtext ist.
Das war anscheinend damals ein Thema hier in Kleinasien mit seinen vielfältigen Gemeinden an ganz unterschiedlichen Orten. In Ephesus und Sardes in Philadelphia und Kolossä, in Perge und Antiochien, in Kappadozien und wer weiß, wo sonst noch. Der Epheserbrief ist ja an alle diese Gemeinden gerichtet.
Warum muß das vom Apostel so geschrieben werden: Ihr seid nicht mehr Gäste und Fremdlinge. Anscheinend waren sie es einmal. Wie auch anderswo: Gastarbeiter und Ausländer, Asylbewerber und Bürger mit Migrationshintergrund; und die alle müssen zusammenleben mit den vielen, die meinen, über die alten angestammten Rechte zu verfügen. So oder ähnlich sehen menschliche Gesellschaften in ihrer Vielfalt aus.
Zu Zeiten des Apostels waren die Gräben aufgebrochen zwischen den Christen, die aus der Synagoge kamen, also unmittelbar mit religiösen Wurzeln in dem Glauben, dem auch Jesus entstammte: Dem Judentum, und den so genannten Heidenchristen. Sind die Heidenchristen gleichwertig? Die kennen doch nicht die Tradition des Gottes der Väter Abraham, Isaak und Jakob und auch nicht die Botschaft der Propheten Jesaja, Jeremia und all der anderen. Die sind doch gleichermaßen durch Nebeneingänge in die christliche Gemeinde gelangt ohne die Legimitation der heiligen Tradition. Sind sie nicht so etwas wie geistliche Asylbewerber und deshalb mehr oder weniger vom Wohlwollen der Inhaber des eigentlichen Bürger- und Hausrechtes abhängig? Außerdem kamen sie auch noch vielfach aus den niederen sozialen Schichten, die man heute unter dem Begriff Prekariat zusammenfasst. Immerhin - sie waren Christen geworden, hatten das Evangelium angenommen und waren auch getauft worden. Aber eben mehr auch nicht. Alles andere fehlte ihnen. Vor allem aber der Ritus des Judentums – die Beschneidung. Und viele meinten: Entweder sie holen das nach und sie passen sich an – oder sie sind bestenfalls Gäste und Fremdlinge und wenn es gut geht: geduldet. Mehr aber nicht.
Integration oder Anpassung – mit einem Fachbegriff Assimilation – das ist die Frage. Und sie ist es nicht nur im heutigen Deutschland oder hier in der südlichen Türkei – es ist auch eine Frage in der Kirche. Wer gehört dazu, wer ist vollwertiges Mitglied, also Mitbürger und Hausgenosse und wer ist Gast und Fremdling.
In dem Haus, in dem meine Frau und ich seit April 2009 gewohnt haben, lässt sich sehr schön deutlich machen, welche Blüten der genannte Sachverhalt gelegentlich treiben kann: Da wohnen Norweger und Dänen, Holländer und Deutsche und natürlich Türken unter einem Dach. Und da gibt es Hausversammlungen, in denen sich Fraktionen bilden: Wer mit wem gegen wen? Das ist oft die Frage. Dass eine funktionierende Klingelanlage dabei herauskommt – das ist bis heute nicht gelungen. Nun ist nach einigen Jahren eine Türkin Vorsitzende. Vielleicht kann man meinen Nachfolger dann per Klingel erreichen und muß sich nicht mehr mit dem Handy von außen anmelden, wenn man zum Pfarrer möchte. Ja, solche Blüten kann es treiben, wenn Menschen Abstufungen in der Wertigkeit vornehmen.
Aber zurück zur Kirche: Der Apostel macht es unmissverständlich klar: All diese Verhaltens – und Denkweisen, die eingrenzen und ausgrenzen – je nach Position – haben in ihr keinen Raum. Denn er, der Christus, ist gekommen und hat im Evangelium Frieden verkündigt euch, die ihr fern wart, und Frieden denen, die nahe waren.
„Denn durch ihn haben wir alle beide in einem Geist den Zugang zum Vater.
So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen, erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, auf welchem der ganze Bau ineinander gefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn.“
Die Grenzen sind damit aufgehoben. Allerdings nicht einfach wahllos. Das Verbindende wird dargestellt, darauf muß nun das Augenmerk gerichtet werden. Was verbindet die Christen in der Gemeinde?
1. Der Friede Gottes
Er hat Frieden gemacht zwischen sich und den Menschen. Dieser Friede ist besiegelt durch den Tod Jesu. Frieden erfordert immer Opfer. Da die Menschen dazu nicht in der Lage waren – und auch weiterhin kaum sind – hat Gott dies Opfer selbst gebracht. Menschen verursachen immer Opfer bei den anderen, oder sie werden sinnlos gefordert. Das Kreuz allerdings steht nun als Zeichen dafür, dass gar keine Opfer mehr nötig sind. Wer sich unter das Kreuz stellt und die Kraft der gewaltlosen Liebe an und in sich wirken lässt, der erfährt zu Kraft zum Frieden, um die wir bitten dürfen. So steht das Kreuz hier auf dem Altar und es ist in unseren gottesdienstlichen Räumen präsent. Der Friede Gottes ist der Friede des Kreuzes Jesu. Niemand ist von dieser Liebe und diesem Frieden ausgeschlossen. Und deshalb zählen keine Grenzen mehr. Der Friede Gottes ist das Bindemittel der christlichen Gemeinde.
2. Die Botschaft der Apostel
Wir hören das gleiche Evangelium, wir lesen die gleichen Briefe und Schriften der Bibel. Das verbindet uns. Diese Erfahrung habe ich immer wieder gemacht – auch und gerade im ökumenischen Dialog. Gerne erinnere ich mich an eine Sternstunde in dieser Hinsicht. Wir haben am Ort meiner letzten Wirkungsstätte als Pastor im aktiven Dienst viele ökumenische Gesprächsrunden gehabt. Am Nächsten sind wir uns anlässlich einer ökumenischen Bibelwoche gekommen. Wir haben nichts anderes gemacht, als Bibeltexte gelesen, und uns gegenseitig erzählt, was sie uns bedeuten, was sie uns in der gegenwärtigen Situation sagen. Wohl nie waren wir uns näher, die Römischen Katholiken, die Lutheraner und die Freikirchler. Viel haben wir Theologen von den Laien gelernt, deren Zugänge zur Schrift oft viel unmittelbarer sind als unser von Exegese und Dogmatik geprägtes Denken. Und immer wieder machten wir die Erfahrung: Je näher wir Christus kommen, umso näher sind wir beieinander. Er ist der Schlußstein, der alles trägt und dafür sorgt, dass das Gewölbe der Kirche nicht einbricht, sondern ein gutes Dach bildet für alle, die sich darunter versammeln.
So erreichen wir in geschwisterlicher Verbundenheit das Ziel, das es anzustreben gilt:
3. Das geistliche und geistvolle Haus
„----- auf welchem der ganze Bau ineinander gefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn. Durch ihn werdet auch ihr mit erbaut zu einer Wohnung Gottes im Geist.“
Ein geistliches Haus. Wir könnten auch sagen: Ein Haus voller Geist. Jedes Haus, jede Wohnung ist geprägt von dem Geist, der in ihm oder ihr weht. Wir spüren dass schnell, wenn wir eine Wohnung betreten und den Menschen begegnen, die in ihr zuhause sind. Ist das ein fröhlicher Geist? Der Geist Gottes ist ein fröhlicher Geist. Ist da ein friedvoller Geist? Der Geist Gottes ist ein friedvoller Geist. Ist das ein freiheitlicher Geist? Der Geist Gottes atmet Freiheit von allen Zwängen. Welcher Geist weht nun hier in unserer Nikolausgemeinde an der türkischen Südküste zwischen Antalya und Alanya und an beiden Stellen auch noch darüber hinaus – von Gasipasa bis nach Kemer?
Einige Erfahrungen:
Wir haben hier keine Kirchen im herkömmlichen Sinne, einmal von der Kapelle in Belek abgesehen. Wir haben Häuser, in denen wir Gottesdienste feiern. Da treffen sich Gesprächsgruppen, da wird bei Kaffee und Kuchen Gemeinschaft gepflegt mit allem, was dazugehört. Die Gebäude sind kaum das bindende, sie sind nur gemietet oder von anderen zur Verfügung gestellt. Die Kirche – das ist hier nicht der Bau mit Glockenturm, das sind die Menschen, die sich im Namen des dreieinigen Gottes versammeln. Sie klagen und loben, sie beten und singen, sie hören und feiern das Mahl des Herrn. Und die Grenzen? Sie sind kaum oder wenig zu spüren. Das Bindende, das Verbindende ist hier gegenwärtig, freilich nicht ohne Fehler und Mängel. Wir sind auch nur Menschen und Christenmenschen, die, wenn sie das „Herr, erbarme dich“, das „Kyrie eleison“, am Sonntag singen, auch und gerade an sich selbst zu denken haben.
Aber viel von dem Frieden des Kreuzes und dem gemeinsamen Grund des Glaubens und einem Geist, der Freiheit atmet, habe ich hier gespürt und miterlebt. Möge es so bleiben in der Zeit die kommt. Dass ich einiges davon mit nach Nordfriesland nehmen kann, dafür bin ich dankbar.
Amen
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