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Samstag, 26. Dezember 2009

WEIHNACHTEN IN 2009 ALANYA

Gut besuchte Gottesdienste in einem überfüllten Theaterkeller – das konnten wir an Weihnachten erleben. Wir sind dankbar dafür. Das staatliche Forstamt hatte uns eine richtige Tanne spendiert, die wir lediglich mit Strohsternen – meist noch aus der Ära von Pfr. Kusch und seiner Frau Hanna stammend – und Naturkerzen geschmückt hatten. Auf dem Weg zur Vesper und auch zum gemeinsamen zweisprachigen Gottesdienst zusammen mit den niederländischen Schwestern und Brüdern am 1. Weihnachtstag war natürlich nichts Weihnacht-liches zu sehen. Auch die Temperaturen von über 20 Grad erinnerten kaum daran.
So war unser Gottesdienstraum der einzige Ort, an dem wir das Fest spürten. Das Entscheidende kam zum Tragen und rückte ins Bewusstsein: Die gute Nachricht von der Menschwerdung Gottes, die eine Zeitenwende herbeigeführt hat. Das stand mit Bibeltexten, Liedern und Gebeten ganz und gar im Mittelpunkt.
Ähnlich auf am 1. Weihnachtsfeiertag. Weihnachten ist hier anders. Ich habe das Gefühl, dass es uns mit seinem Kern eher näher war und ist.

Einige Bilder und die Predigt aus der Christvesper sind nachfolgend zu finden.

Viele Grüße aus Alanya an alle Leser dieser Nachricht und alle Freundinnen und Freunde unserer Gemeinde an der türkischen Südküste.

Johann Weingärtner, Pfr.i.R. in Alanya






PREDIGT

Denn es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen
und nimmt uns in Zucht, dass wir absagen dem ungöttlichen Wesen und den weltlichen Begierden und besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt leben
und warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilands Jesus Christus,
der sich selbst für uns gegeben hat, damit er uns erlöste von aller Ungerechtigkeit und reinigte sich selbst ein Volk zum Eigentum, das eifrig wäre zu guten Werken. ( Titus 2, 11-14)

Was ist Weihnachten für uns, liebe Gemeinde? Für uns ganz allgemein, oder besser ganz konkret, hier in Alanya?

Viele Elemente die zur Weihnachtszeit in Deutschland ganz selbstverständlich dazugehören, gibt es hier nicht:

- Keine Weihnachtsmärkte mit Glühwein, gebrannten Mandeln und Bratwurstduft.
- Keine Dekorationen der Konsumtempel, die zum Kaufen von Geschenken animieren.
- Keine festlich mit vielen Lichterketten und Tannenbäumen geschmückte Innenstadt.
- Und heute Abend keine festliche Kirche oder gar gotische Kathedrale mit großer Orgelmusik, Kirchenchor, Bläsergruppe, Flötenkreis und was wir uns sonst noch vorstellen mögen.

Dafür umgibt uns eine ganz normale türkische Touristenstadt mit dem für die Winterzeit reduzierten Basar. Ein Kellerraum, dem wir ein wenig weihnachtliches Flair zu geben versucht haben, in einem Kulturhaus als Ort für die Christvesper,

Vieles aber von dem, was in der Weihnachtszeit in Erscheinung tritt, fehlt. Vermissen wir es? Müssen wir es vermissen?

Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen – so beginnt der für Christvesper 2009 vorgesehene Bibeltext. Eine ganz andere Erscheinung‚ wie mir scheint. Nicht all die Utensilien einer westlichen Weihnachtswelt, in der immer mehr Menschen überhaupt nicht mehr wissen, worauf dieses Fest eigentlich zurückzuführen ist, sondern: heilsame Gnade für alle Menschen. Ja, liebe Gemeinde, diese Botschaft ist in der oft genug gnadenlosen Geschäftemacherei mit dem Fest unter so manchen Glitzerkram und Flitter und reichlich Geschenkemüll begraben worden.

Wir hier heute Nachmittag haben das alles nicht vor Augen. Was bleibt? Ich nenne es einmal: Weihnachten pur.

Vielleicht sind wir ja in der Tat mit unserer schlichten Form näher dran an dem, was geschah und was wir uns heute an diesem Abend erneut vergegenwärtigen.
Gott erscheint unter den Menschen. Er erscheint nicht in machtvoll heroischer Gestalt‚ sondern als hilfloses Kind von Eltern, die Schwierigkeiten mit dieser Schwangerschaft hatten und die nicht einmal einen angemessenen Ort für die Geburt fanden. Sie standen vor verschlossnen Türen.

Wenn Gott zu den Menschen kommt – dann steht er erst einmal vor manch einer verschlossenen Tür. Das war nicht nur damals in Bethlehem so – das gibt es auch heute noch. Gibt es bei uns heute Abend Offenheit für ihn? Nur mal so zwischendurch gefragt. Oder weshalb sind wir hier?

Jedenfalls‚ heilsame Gnade will uns erscheinen. Wie sieht die aus? Gnade ist ja problematisches Wort. Aus der Juristensprache kennen wir den Tastbestand der Begnadigung. In der Praxis ist die meist nicht unumstritten. Hat der oder die das verdient? Darf man in einem schweren Fall Gnade vor Recht ergehen lassen und Strafe aussetzen oder gar total erlassen?

Die Bibel ist durchaus nicht allzu weit entfernt von solchen Gedanken, wenn es um Gnade geht. Geht das an, dass Gott gnädig ist mit Menschen – auch seiner Kirche – die sich oft genug wenig um ihn schert.

Wie ist das mit dem Auftrag geworden, diese Schöpfung, diese unvergleichlich schöne Erde, zu bebauen und zu bewahren. Der Klimagipfel, der gerade zu ende gegangen ist, hat wieder deutlich gemacht, dass nachhaltige zukunftsorientierte Umweltpolitik im Macht – und Geldgeschacher der Nationen kaum eine Chance hat. Da wird sogar mit Abgaszertifikaten ein schwunghafter Handel mit Steuerbetrug inclusive betrieben.

Was ist aus der Botschaft vom Frieden auf Erden geworden, den Jesus, der Friedensbringer uns vorgelebt hat? ER ist – wenn es gut geht – zu einem oft genug mehr als faulen Kompromiss verkommen, der die Ursachen für den nächsten Gewaltausbruch schon in sich trägt. Und immer noch glauben Machthaber, dass mit Gewalt Frieden zu schaffen sei. Es ist nie gelungen und es wird nie gelingen. Wer Frieden will‚ muß mit dem Kopf des Gegners denken und mit seinem Herzen fühlen können.

Was ist aus dem Auftrag, Gerechtigkeit zu schaffen, geworden? Wegnehmen statt Teilen, Egoismus statt Solidarität, Habgier statt Barmherzigkeit allüberall.

Es mag genügen. Soll Gott dem Menschen gnädig sein, der sich seinem Gebot so widersetzt hat und widersetzt? Soll er Gnade vor Recht ergehen lassen? Auch und gerade denen gegenüber, die Gott auch noch die Schuld für dieses Versagen in die Schuhe schieben wollen? Die Frage: „Wie kann Gott das zulassen“‚ die sicher in manchen Fällen durchaus ihre Berechtigung hat, wird häufig genug leicht gestellt, um die Verantwortung für eigenes Versagen von sich zu weisen.

Gott ist dennoch gnädig – sagt unser Bibelwort. Und seine Gnade ist heilsam. Sie heilt. Sie heilt die relativ kaputten Wesen, die als gedungene Hirten auf den Feldern von Bethlehem ihr Dasein fristen. Ihnen erscheint Gott. Sie sind die erste Adresse seines Besuches. Und die freuen sich. Die spüren, wir sind nicht die Verachteten, uns wird eine unzerstörbare Würde zuerkannt. Das, liebe Gemeinde, ist heilsame Gnade. Keinem darf die Würde eines vollwertigen Menschseins abgesprochen werden, denn jeder Mensch ist, seit Jesus erschien und mit ihm die heilsame Gnade, ein Kind Gottes, auch noch wenn er oder sie in der Gosse geendet ist. Ein Goldstück bleibt Gold wert, auch wenn es im Rinnstein liegt.

Sehen wir uns auf diesem Hintergrund doch einmal das Sozialverhalten unserer Tage an. Da ist doch jemand eher ein so genannter Leistungsträger, der viel geerbt hat und das Vermögen klug investiert‚ als die Packerin im Supermarkt, die sich für einen Hungerlohn den Buckel krumm macht und dann noch beim Sozialamt anstehen muss, um sich und ihr Kind durchzubringen. Diese Frau und all ihre Mitgenossinnen sorgen dafür, dass der Inhaber der Marktkette große Vermögen ansammeln kann. Und er wird als Leistungsträger hofiert und entlastet. Es tut mir leid, liebe Gemeinde – das ist perverses Denken und Handeln.

So kommt die heilsame Gnade unter die Räder einer gnadenlosen profitorientierten Gesellschaft. Und viele, die gehofft hatten, dass die Krise zu einem Umdenken führe, haben sich schwer getäuscht.

Licht muß her, in diese humanitäre Dunkelheit hinein, Weihnachten ist das Licht. Der Christus, das Kind in der Krippe ist das Licht. Der Wanderprediger Jesus unterwegs zu den Mühseligen und Beladenen, den Ausgestoßenen und Kranken, den Leistungsunfähigen und auch den in ihrer Gier verkrümmten Figuren – der ist das Licht. Und wir können, ja wir sollen ein kleines Licht werden in dieser Welt. Jede und Jeder an seinem und ihren Ort. So wie der Schreiber unseres Bibeltexte fortfährt, nachdem er das Erscheinen der heilsamen Gnade gepriesen hat:
Die heilsame Gnade nimmt uns in Zucht, dass wir absagen dem ungöttlichen Wesen und den weltlichen Begierden und besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt leben und warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilands Jesus Christus,
der sich selbst für uns gegeben hat, damit er uns erlöste von aller Ungerechtigkeit und reinigte sich selbst einem Volk seines Eigentums, das eifrig wäre zu guten Werken.
Darum wohlan, liebe Gemeinde, die wir heute mit so wenig äußerem Glanz das Fest begehen. Damit könnten wir glänzen, mit dieser alternativen Lebensform, die ein Gegenbild darstellt zu einer gottlosen Welt, die den Menschen kein Wohlgefallen mehr zukommen lässt, vor allem denen nicht, die es am nötigsten brauchen. Bei denen aber ist Gott Mensch geworden, mit denen hat er das Leben geteilt. Und mitten unter denen ist er gestorben. Der konnte sich sehen lassen. Ja, der ließ sich sehen am dritten Tag. Und der ist lebendig. Lebendig unter uns. Und wir spüren ihn, wenn wir von der heilsamen Gnade Gottes leben und sie teilen mit allen, die zu uns gehören und auch mit denen, die uns begegnen, die wir an und auf unserem Weg sehen und eben besonders denen, die sie am nötigsten brauchen.
So wird Weihnachten heute – und warum nicht? – auch durch das ganze Jahr.
Amen

Montag, 7. Dezember 2009

ZEITENENDE - ZEITENWENDE

So lässt sich die Zeit zwischen dem Ende des alten und dem Beginn des neuen Kirchenjahres bezeichnen. Wir Christen hier in Alanya haben das besonders eindrücklich erlebt. In den Wochen im November haben sich die Todesfälle und Trauerfeiern auf dem christlichen Teil des Friedhofes – zumindest für unsere Verhältnisse – gehäuft. Das war Anlass genug über Ende und Anfang, Loslassen und Gewinnen, Dunkelheit und Licht, Tod und Leben nachzudenken.


Im Folgenden sind Bilder einer Trauerfeier und unseres für die Adventszeit geschmückten Kellers im Kulturhaus zu sehen. Außerdem sind die beiden Predigten von Pfr. Weingärtner sowohl zum Ewigkeitssonntag und zum 1. Advent abgedruckt.







PREDIGT ZUM 1. ADVENT 2009 IN ALANYA

Römer 13 8-14,

8 Seid niemandem etwas schuldig, außer dass ihr euch untereinander liebt; denn wer den andern liebt, der hat das Gesetz erfüllt.

9 Denn was da gesagt ist: »Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht begehren«, und was da sonst an Geboten ist, das wird in diesem Wort zusammengefasst: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.«

10 Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung.

11 Und das tut, weil ihr die Zeit erkennt, nämlich dass die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf, denn unser Heil ist jetzt näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden.

12 Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbeigekommen. So lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts.


So einfach ist das also, liebe Gemeinde: Wir brauchen eigentlich für unser Zusammenleben keinen ordnenden Gesetzeskatalog, in dem aufgezählt wird, was uns alles nicht erlaubt ist: Du sollst nicht. Vier Mahl steht das da in dem Bibelwort, das wir eben gehört haben. Und dann wird noch erwähnt, dass das eigentlich nur modellhaft gemeint ist, dass es noch viel mehr solcher „Du sollst nicht“ gibt. Das Alles brauchen wir eigentlich nicht. Wenn, ja wenn dies eine Gebot Wirklichkeit wird: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.


Tätige Liebe macht also alle Ge – und Verbote überflüssig.
Tätige Liebe braucht keinen weiteren Verhaltenskodex
Tätige Liebe ist des Gesetzes Erfüllung – sagt Paulus


Wenn es die denn gäbe, liebe Gemeinde. Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. Diesen fulminanten Satz stellt der Apostel ja seinem Postulat voran.

Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. Dem Nächsten nichts Böses tun?

also nicht mal eben über ihn herziehen, wenn uns etwas nicht gepasst hat
also nicht erfahrenes Unrecht mit gleicher Münze heimzahlen
also auf keinen Fall verbale und schon gfar keine körperliche Gewalt gegen ihn oder sie ausüben
also von frühester Kindheit an die Liebe als das alleinige Bindemittel von Beziehungen propagieren und einüben
also lieber Unrecht leiden als Unrecht tun
also – also – also


Ist das möglich? Kann das jemand?

Übersteigt das nicht unsere Kräfte?
Und geht das nicht überhaupt nur, wenn sich alle daran halten?
Ist nicht sonst der Liebevolle der Dumme?
Das sind die Fragen, die die so klare und eindeutige Position des Apostels, der nur auf Liebe setzt, hervorrufen.

Wieder einmal ein Bibeltext, der so schön klingt, weil er deutlich Position bezieht und gleichzeitig durch die erlebte Wirklichkeit total konterkariert wird.

Wie kommen wir da heraus? Kommen wir da überhaupt heraus?

Machen wir den Versuch.


Wir erleben bei uns und anderen, dass das Verhältnis zu den Nächsten weniger von Liebe geprägt ist als von Selbstbehauptung und Abgrenzung. Der Wettbewerb geprägt von persönlichem Ehrgeiz, der oder die bessere zu sein, mehr Bedeutung zu haben, mehr zu leisten oder geleistet zu haben – das alles spielt eine so große Rolle unter uns Menschen. Und das lässt sich doch nicht einfach wegwischen, das ist doch da. Auch wenn wir nicht gleich Ehebrecher oder Mörder oder Diebe sind. Und mit der Proklamation der Liebe als dem alles heilenden Bindemittel menschlicher Beziehungen lässt es sich nicht wegwischen. Wahrlich nicht. Nun könnten wir ja wieder in das altbekannte Verhalten zurückfallen und auch am Beginn dieser Adventszeit darüber klagen, wie so schlimm doch alles ist und vor allem die andern sind. Das hülfe nicht weiter.


Finsternis nennt der Apostel das und ruft uns auf, ins Licht zu treten. Wenn sich doch Morgendämmerung wenigstens anzeigte und die Nacht der Selbstliebe oder gar Selbstverliebtheit zu schwinden begänne.


Der Liederdichter Jochen Klepper hat dieses Bild in seinem Adventslied sehr schön aufgenommen. Und vielleicht hilft es uns weiter. Er singt: „Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern. So sei nun Lob gesungen dem hellen Morgenstern, Auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein. Der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein.“ Ich glaube hier wird uns ein Weg aufgezeigt, auch wenn es scheint, als säßen wir noch im Finstern, und das Licht der großen Liebe hätte uns nicht erreicht.

Mann kann ja darüber klagen, dass eine Kerze noch keine Erhellung bringt. Was macht auch schon eine Kerze gegen die Dunkelheit. Und doch gilt der kluge Satz: Es ist allemal besser eine Kerze anzuzünden, als über die Dunkelheit zu klagen.

Und dann kann uns Jochen Klepper mit einem weiteren Vers aus seinem Lied noch ein wenig weiterhelfen: „Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt.“ So fängt die Liebe an, liebe Gemeinde. Sie bricht nicht einfach wie ein alles überstrahlendes Licht herein und vertreibt die Dunkelheit von Haß und Selbstsucht wie auf einen Schlag. Hell wird es nicht auf einmal. Das dauert manchmal. Und manchmal auch etwas länger.

Wenn Gott das Licht bringt, seine Licht der Liebe, dann fängt er mit einem kleinen Kind an. Und das liegt nicht einmal in einem umstrahlten Königskinderbett. Alle Heiligenscheine, die das Triste des Viehunterstandes verklären, sind da manchmal eher hinderlich. Gott will wirklich im Dunkel wohnen. Und sein Lebenslauf in der Person des Mannes von Nazareth, der Mensch - gewordenen Liebe Gottes durchläuft eben immer wieder die dunkeln Orte.

Da wo Trauer ist er zu finden und
wo die Not regiert, da sorgt er für Linderung und
wo Unfrieden ist, da stiftet er Versöhnung,
wo Beziehungen zerbrochen sind, da baut er Brücken.
Und als er in tiefster Todesfinsternis verunken stirbt, da beginnt der Ostermorgen schon bald zu grauen.


Vielleicht sind wir ja auf dieser Erde noch nie ganz richtig im Licht des Tages, sondern eher bestenfalls im Morgengrauen. Vielleicht bricht der Tag ja erst an, wenn er – Gott selbst – all dem menschlichen Spuk von Vernichtung und Haß, stets unheiligem Krieg und unmenschlicher Gier nach immer mehr und immer besser und immer größer ein Ende setzt.

Advent sagt mir: Das kommt. Aber noch bin ich zwischen Nacht und Morgen, Dunkelheit und Licht und oft genug auch noch im Zwielicht.


Eine kleine Geschichte ist mir unter die Augen gekommen:

„Zwei Rabbiner, so erzählt eine jüdische Geschichte, unterhalten sich darüber, wann ein Tag eigentlich anfängt. „Wenn du einen weißen Faden von einem schwarzen unterscheiden kannst", sagt einer der beiden. „Nein, mein Bruder", meint der andere, „der Tag beginnt dann, wenn du im anderen deinen Nächsten erkennen kannst."


Wie viel Licht ist dazu nötig, im anderen meinen Nächsten zu erkennen? Wie viele Kerzen müssen dafür brennen? Der erste Advent sagt: Eine Kerze reicht. Eine Kerze ist genug. In ihrem Schein erkenne ich meine Nächsten.

Eine Kerze reicht, um in ihrem Licht im Morgengrauen des heraufziehenden Tages die Kraft des Lichtes zu erfahren.


Wie kann das geschehen? Es kommt wohl darauf an, welche Kräfte ich in mir wirken lasse. Und welchen Kräften ich erlaube, in mir wirksam zu werden.

Ich kann all die Berichte über die Dunkelheiten menschlicher Existenz in mich aufnehmen. Bilder und Texte gibt es genug. Sie sind jederzeit und allen Ortes schnell greifbar. Ein Tastendruck oder ein Mausklick genügt.


Die Adventszeit trägt die liturgische Farbe Violett. Es ist die Farbe der Umkehr, ein anderes Wort für Buße, In früheren Zeiten hat man in diesen 4 Wochen gefastet, um den Kopf und das Herz klar zu kriegen für das Wesentliche, auch für das große Licht, das an Weihnachten in dieser Welt zu leuchten begann. Eigentlich bin ich ganz froh, liebe Gemeinde, dass ich in diesem Jahr in der vorweihnachtlichen Zeit mal nicht in Deutschland bin und meine Augen nicht vom grellen Licht der Reklamen blenden und meine Ohren nicht vom belanglosen Gedudel der Märkte, die in dieser Fastenzeit eben auch ihre Sauf – und Fressmeilen eröffnen, zudröhnen lassen muß. Irgendwann muß man ja mal in die Stadt, wenn man in ihr wohnt. Dieses Jahr kann ich das ganz gut entbehren.


Etwas zu lassen allein genügt aber wohl nicht. Was tritt an dessen Stelle?

Vielleicht die intensivere Besinnung Tag für Tag über dem Wort von dem großen Licht und der unverbrüchlichen Liebe.
Vielleicht die Zeit, bei einander zu sein, Gemeinschaft zu pflegen ohne die Hektik weihnachtlichen Vorbereitungsrummels
Vielleicht dieser einfache Raum hier im Kulturhaus mit seinem kargen Charme.


Auch wenn eine mild durchleuchtete schöne Kirche, vielleicht gar eine gotische, mit dem Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach schon etwas haben, was ich gerne genieße. Sind wir hier im Keller vielleicht doch etwas näher am Geschen zu Advent und Weihnachten dran? Ich laß diese Frage einfach einmal so stehen. Fragen können ja manchmal wach machen. Und der Apostel meint ja wohl, dass wir aufstehen sollen vom Schlaf, denn unser Heil sei nahe. Ja, liebe Gemeinde, wir müssen geheilt werden. Denn auch bei jedem von uns ist einiges kaputt. Und deshalb noch einmal Jochen Klepper mit einem weiteren Liedvers:

„Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und Schuld. Doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld. Beglänzt von seinem Lichte hält uns kein Dunkel mehr, von Gottes Angesichte kam uns die Rettung her.“


Also, das Widersprüchliche bleibt. Finsternis wird uns immer wieder einfangen, muß uns aber nicht gefangen halten. Eine Kerze brennt schon. Mit den nächsten Wochen werden es nach und nach vier werden. Und am Heiligen Abend eine ganze Menge. Wir werden auch dann hier im Keller sitzen, aber es wird Licht sein. Denn das Licht Gottes scheint in der Finsternis. Wenn wir’s doch nur besser begreifen könnten.

Aber Geduld: Hell wird es nicht auf einmal. Das Morgengrauen, das Halbdunkel sagt uns: Der Tag kommt. Ganz gewiß!

Amen





Pfarrer Weingärtner bei einer Bestattung auf dem christlichen Teil des Friedhofes von Alanya




PREDIGT ZUM EWIGKEITSSONNTAG 2009

MATTHÄUS 25, 1-13


1 Dann wird das Himmelreich gleichen zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und gingen hinaus, dem Bräutigam entgegen.

2 Aber fünf von ihnen waren töricht und fünf waren klug.

3 Die törichten nahmen ihre Lampen, aber sie nahmen kein Öl mit.

4 Die klugen aber nahmen Öl mit in ihren Gefäßen, samt ihren Lampen.

5 Als nun der Bräutigam lange ausblieb, wurden sie alle schläfrig und schliefen ein.

6 Um Mitternacht aber erhob sich lautes Rufen: Siehe, der Bräutigam kommt! Geht hinaus, ihm entgegen!

7 Da standen diese Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen fertig.

8 Die törichten aber sprachen zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, denn unsre Lampen verlöschen.

9 Da antworteten die klugen und sprachen: Nein, sonst würde es für uns und euch nicht genug sein; geht aber zum Kaufmann und kauft für euch selbst.

10 Und als sie hingingen zu kaufen, kam der Bräutigam; und die bereit waren, gingen mit ihm hinein zur Hochzeit, und die Tür wurde verschlossen.

11 Später kamen auch die andern Jungfrauen und sprachen: Herr, Herr, tu uns auf!

12 Er antwortete aber und sprach: Wahrlich, ich sage euch: Ich kenne euch nicht.

13 Darum wachet! Denn ihr wisst weder Tag noch Stunde.


In der Ölkrise gehen die Lichter aus, liebe Gemeinde. Fast ein zeitgenössisches Bild, das Jesus uns da in seinem Gleichnis vor Augen malt. Und die Ursache der Krise ist Torheit. Oder vielleicht sogar Tollkühnheit. Ohne groß nachzudenken, ob das Öl auch reichen könnte, also ohne für Nachhaltigkeit zu sorgen, so nach dem Motto: Wird schon gut gehen - so denken und handeln die törichten Jungfrauen. Das kann gründlich ins Aus führen oder sogar in einen Abgrund, zumindest vor eine verschlossene Tür, in eine Sackgasse.


Ganz anders die mit Klugheit ausgestatteten Frauen. Sie sorgen für Vorrat, überschlagen die Kosten des Unterfangens, sorgen entsprechend vor. Und so landen sie bei weit geöffneter Tür in einem zum Festmahl bereiteten Saal.


Auf dem Weg dahin kommt es noch zu einer unerfreulichen, zumindest zwiespältigen Begegnung. Die von Torheit Geschlagenen bitten die mit Klugheit Ausgestatteten um Hilfe durch Teilen. Das wird abgelehnt. So ist das manchmal.


Es gibt ein zu spät. Und wenn Klugheit sich durch Torheit teilen lässt, kommt bestenfalls Mittelmäßigkeit heraus und damit ist letztlich niemandem gedient.

So kommt es, wie es kommen muß: Klugheit führt zum Ziel – Torheit in die Sackgasse.


Nun ließe sich ja trefflich in unseren Tagen darüber diskutieren, was dieses Gedankengut auf politischem und wirtschaftlichen Gebiet wohl an Aufklärung manch übler Zustände, die all – überall zu beobachten sind, zu leisten vermöchte. Und ehrlich gesagt, liebe Gemeinde, ein wenig war ich für kurze Zeit durchaus in Gefahr, mich dazu verleiten zu lassen. Dann aber war mir klar: Jesus hat dieses Gleichnis nicht auf einer Versammlung von Wirtschafts-kapitänen und Investmentbankern und auch nicht auf einer Koalitionsklausur auf Schloß Meseberg erzählt, sondern es steht im Matthäusevangelium. Das aber wendet sich an die junge Kirche im 1. Jahrhundert. Es ist also eine Geschichte für die Kirche, die Christen, auch für uns an der türkischen Südküste heute.


Und dann sind auch gleich wieder beim Thema. Viele Leute meinen ja, in der Kirche gingen eh bald die Lichter aus. Da brennt nichts mehr, da qualmt es nur noch ein wenig. Große Krise! Und mancherorts wird dieser Eindruck in der Tat erweckt.

Andere machen die Erfahrung eines kurzen Aufflackerns, eines Strohfeuers, das schnell in die Höhe schießt, aber nicht von Dauer ist, eben nicht nachhaltig. Fehlt es an Klugheit? Hat die Torheit um sich gegriffen?


Was ist eigentlich Klugheit – und was ist Torheit?

Beiden ist eigen, dass sie nicht vor Müdigkeit bewahrt werden, so erfahren wir im Gleichnis. Alle zehn Jungfrauen schlafen ja ein. – die klugen wie die törichten. Auch die Klugheit kann nicht immer hellwach sein. Sie weiß um die menschlichen Schwächen. Wenn der schnelle Erfolg ausbleibt, kann sie schon müde werden.

Aber wenn es darauf ankommt, dann ist sie hellwach, muß sich nicht erst lange besinnen, auch nicht nach dem nötigen Handwerkszeug suchen. Sie hat sich für den Ernstfall präpariert. Das nun benötigte Instrumentarium liegt stets in Reichweite. Die Lampen sind mit Öl gefüllt gewesen und haben die Zeit des Wartens auch noch mit gut mit Licht erfüllt. Und auch die Ersatzkannen stehen bereit. Es kann losgehen. Der Tag der Entscheidung ist gekommen. Mag die Wegstrecke auch lang sein. Die Energie reicht aus.


Die ist auch nicht mit kurzlebigen Events verpulvert worden, die gibt es bei Kirchens ja gelegentlich auch.
Die hat man sich auch nicht einfach von anderen nehmen lassen. Nicht von irgendwelchen religiösen Modeerscheinungen.
Die hat die Kirche auch nicht in alle möglichen Strukturanpassungs-maßnahmen mit einer Vielzahl von Gremien, Lenkungsgruppen und Fachausschüssen verpulvert.
Was aber ist ihre typische Energie, die christlicher Identität entspricht?

Die Energie der Kirche ist das Wort des lebendigen Christus, der

alles Kaputte heilt
alles Verlorene rettet
alle Schuld vergibt
den Tod zum Tor des Lebens gemacht hat.
am Ende der Zeit eine neue Welt anbrechen lässt
Das ist die Energie der Kirche – die Kraft Gottes, die er verschenkt. Die den Geist zu neuer Kreativität begeistert. Die Durststrecken überstehen und am Ende das Mahl der Gerechtigkeit und des Friedens mit allen, die gekommen sind aus dem Norden und dem Süden, dem Osten und dem Westen feiert, an einem Tisch beim Festmahl einer geheilten Welt feiern lässt.


Darauf zu vertrauen, liebe Gemeinde, das ist Klugheit. Den mächtig ohnmächtigen Heilsbringern in Politik und globaler Wirtschaft zu vertrauen, dass sie die Welt heilen können – das ist Torheit. Wenn sie das Schlimmste zu

verhindern wissen – dann sind sie schon gut gewesen. Und nicht mehr zu versprechen – das ist auch Klugheit. Mehr darf von ihnen auch nicht erwartet werden, denn die Herren – und auch die Damen – dieser Welt gehen, unser Herr Jesus Christus aber kommt.


Ein Wort zu den törichten Jungfrauen muß noch gesagt werden. Sie sind ja vom selben Ursprung wie die klugen. Sie sind ja auch mit unterwegs, dem Bräutigam entgegen, hin zu seinem großen Festmahl. Ihre Anfangsenergie ist ja auch die der klugen gleich. Sie brennen, geben Licht – so wie es dem Wesen und Auftrag der Christenheit entspricht. Eines jedoch fehlt ihnen zur Klugheit.

Sie überschlagen die Kosten nicht genau. Sie kalkulieren ihre Anfälligkeit zur Schwäche und Müdigkeit nicht ein. Sie tun so, als würde das, was sie im Moment haben, schon reichen. Es wird schon gut gehen. Fast fällt mir einer der dümmsten Sprüche ein, den ich jemals von einer Moderatorin gehört habe: Alles wird gut. Das wird es eben nicht, ganz und gar nicht. Weil sie es vielleicht geglaubt haben, bleiben 50 % auf der Strecke. 10 von 20 erreichen das Ziel nicht. Stehen am Ende vor verschlossenen Türen.


Das ist ein ernst zu nehmender Aspekt unseres Gleichnisses. Neben der Ermutigung zu klugem Umgang mit der von Gott geschenkten Energie steht die ernste Ermahnung, nicht leichtfertig unterwegs zu sein. Es könnte schief gehen.

Der heutige Ewigkeitssonntag am Ende des Kirchenjahres hat neben dem Aspekt der Überwindung des Todes durch den lebendigen Christus eben auch den mahnenden, der uns in die Verantwortung vor Gott stellt:


Wie seid ihr mit den geschenkten Gaben umgegangen?
Habt ihr Euch das Anvertraue verantwortlich eingeteilt?
Seid ihr euch auch bewusst, dass am Ende des Lebens und der Zeit der Ernstfall eintritt und das Leben auf dem Prüfstand steht?


Es geht nicht einfach mit Glanz und Gloria in Gottes Ewigkeit.

Der Weg dahin ist oft mühsam.
Der Zweifel kann dem Glauben schwer zusetzen.
Der Geist der Zeit kann die Begeisterung durch Gottes Geist erlahmen lassen
Beide Möglichkeiten hat uns das Gleichnis Jesu nun aufgezeigt: Klugheit oder Torheit – das ist die Frage. Jede uns jeder von uns mag sich fragen, auf welcher Seite wir stehen.

Die geistliche Ölkrise – die die brennende Begeisterung für die Sache Jesu Christi in dieser Welt zum Erlöschen bringen kann, möge uns erspart bleiben. Laßt uns um Klugheit ringen und beten, am Ende dieses Kirchenjahres besonders, aber auch an jedem Tag der kommt.

Amen