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Montag, 2. Februar 2015

Pressefreiheit / Anmerkungen von Rolf G. Rutter

Vorweg: Es gibt keine Rechtfertigung dafür, das Leben eines anderen Menschen auszulöschen, wie es überhaupt keine Rechtfertigung gibt, physische oder psychische Gewalt gegen Menschen anzuwenden.

Im Zusammenhang mit dem Anschlag auf Charlie-Hebdo wird mit lautem Lamento auf die hohen Güter der Meinungs- und der Pressefreiheit hingewiesen. Die beide in einen Topf zu werfen, ist aber schon nicht gerechtfertigt. Es ist ein erheblicher Unterschied, ob ich als Privatperson meine Meinung vertreten darf, oder ob man als professioneller Meinungsbildner einer großen Masse beim Denken hilft. Zweifellos ist die Pressefreiheit ein hohes und schützenswertes Gut. Das verlangt aber auch einen sorgfältigen und verantwortungsvollen Umgang damit. Die US Amerikaner sehen das Recht, Schusswaffen tragen zu dürfen, auch als hohes Gut an. Über die Folgen werden wir gelegentlich informiert.

Wir haben uns mittlerweile an ein hohes Maß an Freiheit gewöhnt, eine Freiheit, die aber auch nicht mehr vor den Rechten des Anderen halt macht. Für uns ist es selbstverständlich geworden, dass es unser Nachbar tolerieren muss, wenn wir ihm auf die Füße treten. Anderseits ist eine Beleidigung ein Straftatbestand. Zur Verdeutlichung: Wir maßen uns an, Gottgläubigkeit lächerlich machen zu dürfen, sind aber zutiefst verletzt, wenn uns jemand als Dummkopf bezeichnet. Ständig reden wir über Toleranz, aber die pure Lust am Zerstören zwingt uns, intolerant zu sein.

Wenn man längere Zeit in einem islamischen Land lebt, beginnt man, erheblich daran zu zweifeln, dass unsere ungezügelte Freiheit die optimale Form des Zusammenlebens ist. Können wir uns überhaupt vorstellen, dass der Alltag im Islam wesentlich toleranter ist? Zum Beispiel fordert der Koran, dass Frauen ihre weiblichen Reize nicht zur Schau zu stellen. Man stelle sich vor, wie viel Toleranz nötig ist, um zu akzeptieren, dass Urlauberinnen im knappen Bikini durch Straßen und Geschäfte flanieren und zum Einkauf nur ihre Kreditkarte mitnehmen. - Nicht alle Einheimischen sind vom Geld der Touristen abhängig!

Es gibt viele Menschen, denen ein fest gefügter Rahmen ihres Lebens wichtiger ist als alle Freiheiten dieser Welt. Was gibt uns das Recht, denen unsere Gedankenwelt aufzuzwingen? Das Zusammenleben der Menschen erfordert nun einmal gewisse Regeln, die sich auch außerhalb von Gesetzen zeigen müssen. Andernfalls haben wir das Faustrecht der Neandertaler, das sich in Gewaltorgien schon jetzt allenthalben zeigt und das nur die Allmacht des Geldes anerkennt. Warum fällt es uns so schwer zu akzeptieren, dass es außer unserem Selbstverständnis auch andere Modelle des Zusammenlebens gibt? Jede Religion, die auf gegenseitiger Achtung und Gewaltlosigkeit beruht, ist besser als ein Zusammenleben, das ausschließlich durch starre Gesetzt geregelt ist. Es gibt keine Gründe, weshalb man Religionen lächerlich machen muss, außer der egoistischen Lust am Zerstören. Freizügigkeit und Beliebigkeit, wie wir sie praktizieren, ebnen den Weg für Demagogen. Der Mensch ist nun einmal ein Rudeltier und sucht sich einen Führer, um nachher feststellen zu müssen, dass er angeführt worden ist.

Wenn sich die Satire auf Kurt Tucholsky beruft, sollte sie bitte aber auch ihren Stil mit seinem vergleichen. Nicht jeder Satiriker ist ein Tucholsky.

Rolf G. Rutter (Vorstand einer christlichen Gemeinde in der Türkei)

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