Liebe Mitmenschen,
am 1. Februar, am Sonntag Septuagesimae, haben wir in unserer christlichen
Gemeinde in Alanya über das Gleichnis vom Weinbergbesitzer nachgedacht. Es ist
davon die Rede, dass der Besitzer am Morgen Arbeiter einstellt, mit denen er
einen Tagelohn von einem Silberstück vereinbart. Der Weinbergbesitzer geht nach
jeweils drei Stunden weitere drei Mal auf den Marktplatz, um Arbeiter
einzustellen. Am Ende des Arbeitstages nach zwölf Stunden bezahlt er zuerst die
zuletzt Eingestellten, die nur eine Stunde gearbeitet haben, ein Silberstück.
Auch alle anderen erhalten diesen Lohn.
Die Arbeiter, die den ganzen Tag gearbeitet haben, beschweren sich beim
Hausherrn. Sie fordern mehr Lohn, weil sie mehr gearbeitet haben. Der Hausherr
weist die Kritik aber zurück, indem er die verärgerten Arbeiter daran erinnert,
dass sie mit ihm doch zuvor über die Bezahlung eines Silberstücks
übereingekommen waren und dass er zudem mit seinem Geld machen könne, was er
wolle.
Es ist die alte Menschheitsfrage nach persönlichem Verdienst und sozialem
Rang, nach der Gerechtigkeit für den Einzelnen und in der Gesellschaft. Es ist
das ewige Lied vom Vergleichen, wer mehr hat; das Gefühl, zu kurz zu kommen und
ungerecht behandelt zu werden; der Neid auf diejenigen, die mehr haben als wir
selbst; der unersättliche Drang, noch mehr zu besitzen; und die enttäuschende
Erfahrung gerade derjenigen, die sich nach oben geschafft haben und stolz
darauf sind, nun zu den Ersten zu gehören.
Auch hier in Alanya, auch in unserer Gemeinde, gibt es die, die Verständnis
haben für die Menschen, die neuerdings jede Woche demonstrieren, weil sie Angst
vor Überfremdung haben (oder wie sie sagen “ vor der Islamisierung
Deutschlands”).
Ich habe lange überlegt, wo die Wurzel des Problems liegt: Es steckt wohl in
unserem Bedürfnis, uns zu vergleichen. Oder im Neid.
„Was hab ich, was hast du” frage ich, und
schon bald ist klar, wo die Unterschiede sind, wo der andere mehr hat oder
weniger tut. Da kommen die Menschen nach Deutschland und bekommen direkt eine
Unterkunft und zu essen und eine Heizung. “Wie mussten wir damals kämpfen und
arbeiten, bis wir uns etwas leisten konnten”.
Das ist ein Grundübel: Schon bei Kain und Abel war dieser vergleichende
Seitenblick die Ursache für den ersten Mord. Wenn es mir gelingt, dieses
Vergleichen mal wegzulassen (und das ist nicht immer einfach), dann sieht die
Sache ganz anders aus: Schau “ mal dich allein an, oder schau den anderen
allein an, und schau, ob die Situation dann ok ist”. Und oft genug merke ich:
Ja, es passt und ist sinnvoll. Was brauchst du, was brauche ich – und wir
können uns doch freuen, wenn jeder das haben kann, was er benötigt. Dann haben
wir zwei Sieger, und müssen nicht auch noch einen zum Verlierer erklären.
Jesu Botschaft ist nicht immer leicht zu verdauen. Es ist manchmal auch
schwere Kost. Gottes Güte, sie wird uns im Gleichnis von den Arbeitern im
Weinberg vor Augen gestellt. So werden die Letzten die Ersten und die Ersten
die Letzten sein. Gottes Gerechtigkeit übersteigt alles, was wir für gerecht
halten.
Freuen wir uns darauf
Ihr
Karl-Heinz Pastoors aus Alanya