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Samstag, 26. Dezember 2009

WEIHNACHTEN IN 2009 ALANYA

Gut besuchte Gottesdienste in einem überfüllten Theaterkeller – das konnten wir an Weihnachten erleben. Wir sind dankbar dafür. Das staatliche Forstamt hatte uns eine richtige Tanne spendiert, die wir lediglich mit Strohsternen – meist noch aus der Ära von Pfr. Kusch und seiner Frau Hanna stammend – und Naturkerzen geschmückt hatten. Auf dem Weg zur Vesper und auch zum gemeinsamen zweisprachigen Gottesdienst zusammen mit den niederländischen Schwestern und Brüdern am 1. Weihnachtstag war natürlich nichts Weihnacht-liches zu sehen. Auch die Temperaturen von über 20 Grad erinnerten kaum daran.
So war unser Gottesdienstraum der einzige Ort, an dem wir das Fest spürten. Das Entscheidende kam zum Tragen und rückte ins Bewusstsein: Die gute Nachricht von der Menschwerdung Gottes, die eine Zeitenwende herbeigeführt hat. Das stand mit Bibeltexten, Liedern und Gebeten ganz und gar im Mittelpunkt.
Ähnlich auf am 1. Weihnachtsfeiertag. Weihnachten ist hier anders. Ich habe das Gefühl, dass es uns mit seinem Kern eher näher war und ist.

Einige Bilder und die Predigt aus der Christvesper sind nachfolgend zu finden.

Viele Grüße aus Alanya an alle Leser dieser Nachricht und alle Freundinnen und Freunde unserer Gemeinde an der türkischen Südküste.

Johann Weingärtner, Pfr.i.R. in Alanya






PREDIGT

Denn es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen
und nimmt uns in Zucht, dass wir absagen dem ungöttlichen Wesen und den weltlichen Begierden und besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt leben
und warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilands Jesus Christus,
der sich selbst für uns gegeben hat, damit er uns erlöste von aller Ungerechtigkeit und reinigte sich selbst ein Volk zum Eigentum, das eifrig wäre zu guten Werken. ( Titus 2, 11-14)

Was ist Weihnachten für uns, liebe Gemeinde? Für uns ganz allgemein, oder besser ganz konkret, hier in Alanya?

Viele Elemente die zur Weihnachtszeit in Deutschland ganz selbstverständlich dazugehören, gibt es hier nicht:

- Keine Weihnachtsmärkte mit Glühwein, gebrannten Mandeln und Bratwurstduft.
- Keine Dekorationen der Konsumtempel, die zum Kaufen von Geschenken animieren.
- Keine festlich mit vielen Lichterketten und Tannenbäumen geschmückte Innenstadt.
- Und heute Abend keine festliche Kirche oder gar gotische Kathedrale mit großer Orgelmusik, Kirchenchor, Bläsergruppe, Flötenkreis und was wir uns sonst noch vorstellen mögen.

Dafür umgibt uns eine ganz normale türkische Touristenstadt mit dem für die Winterzeit reduzierten Basar. Ein Kellerraum, dem wir ein wenig weihnachtliches Flair zu geben versucht haben, in einem Kulturhaus als Ort für die Christvesper,

Vieles aber von dem, was in der Weihnachtszeit in Erscheinung tritt, fehlt. Vermissen wir es? Müssen wir es vermissen?

Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen – so beginnt der für Christvesper 2009 vorgesehene Bibeltext. Eine ganz andere Erscheinung‚ wie mir scheint. Nicht all die Utensilien einer westlichen Weihnachtswelt, in der immer mehr Menschen überhaupt nicht mehr wissen, worauf dieses Fest eigentlich zurückzuführen ist, sondern: heilsame Gnade für alle Menschen. Ja, liebe Gemeinde, diese Botschaft ist in der oft genug gnadenlosen Geschäftemacherei mit dem Fest unter so manchen Glitzerkram und Flitter und reichlich Geschenkemüll begraben worden.

Wir hier heute Nachmittag haben das alles nicht vor Augen. Was bleibt? Ich nenne es einmal: Weihnachten pur.

Vielleicht sind wir ja in der Tat mit unserer schlichten Form näher dran an dem, was geschah und was wir uns heute an diesem Abend erneut vergegenwärtigen.
Gott erscheint unter den Menschen. Er erscheint nicht in machtvoll heroischer Gestalt‚ sondern als hilfloses Kind von Eltern, die Schwierigkeiten mit dieser Schwangerschaft hatten und die nicht einmal einen angemessenen Ort für die Geburt fanden. Sie standen vor verschlossnen Türen.

Wenn Gott zu den Menschen kommt – dann steht er erst einmal vor manch einer verschlossenen Tür. Das war nicht nur damals in Bethlehem so – das gibt es auch heute noch. Gibt es bei uns heute Abend Offenheit für ihn? Nur mal so zwischendurch gefragt. Oder weshalb sind wir hier?

Jedenfalls‚ heilsame Gnade will uns erscheinen. Wie sieht die aus? Gnade ist ja problematisches Wort. Aus der Juristensprache kennen wir den Tastbestand der Begnadigung. In der Praxis ist die meist nicht unumstritten. Hat der oder die das verdient? Darf man in einem schweren Fall Gnade vor Recht ergehen lassen und Strafe aussetzen oder gar total erlassen?

Die Bibel ist durchaus nicht allzu weit entfernt von solchen Gedanken, wenn es um Gnade geht. Geht das an, dass Gott gnädig ist mit Menschen – auch seiner Kirche – die sich oft genug wenig um ihn schert.

Wie ist das mit dem Auftrag geworden, diese Schöpfung, diese unvergleichlich schöne Erde, zu bebauen und zu bewahren. Der Klimagipfel, der gerade zu ende gegangen ist, hat wieder deutlich gemacht, dass nachhaltige zukunftsorientierte Umweltpolitik im Macht – und Geldgeschacher der Nationen kaum eine Chance hat. Da wird sogar mit Abgaszertifikaten ein schwunghafter Handel mit Steuerbetrug inclusive betrieben.

Was ist aus der Botschaft vom Frieden auf Erden geworden, den Jesus, der Friedensbringer uns vorgelebt hat? ER ist – wenn es gut geht – zu einem oft genug mehr als faulen Kompromiss verkommen, der die Ursachen für den nächsten Gewaltausbruch schon in sich trägt. Und immer noch glauben Machthaber, dass mit Gewalt Frieden zu schaffen sei. Es ist nie gelungen und es wird nie gelingen. Wer Frieden will‚ muß mit dem Kopf des Gegners denken und mit seinem Herzen fühlen können.

Was ist aus dem Auftrag, Gerechtigkeit zu schaffen, geworden? Wegnehmen statt Teilen, Egoismus statt Solidarität, Habgier statt Barmherzigkeit allüberall.

Es mag genügen. Soll Gott dem Menschen gnädig sein, der sich seinem Gebot so widersetzt hat und widersetzt? Soll er Gnade vor Recht ergehen lassen? Auch und gerade denen gegenüber, die Gott auch noch die Schuld für dieses Versagen in die Schuhe schieben wollen? Die Frage: „Wie kann Gott das zulassen“‚ die sicher in manchen Fällen durchaus ihre Berechtigung hat, wird häufig genug leicht gestellt, um die Verantwortung für eigenes Versagen von sich zu weisen.

Gott ist dennoch gnädig – sagt unser Bibelwort. Und seine Gnade ist heilsam. Sie heilt. Sie heilt die relativ kaputten Wesen, die als gedungene Hirten auf den Feldern von Bethlehem ihr Dasein fristen. Ihnen erscheint Gott. Sie sind die erste Adresse seines Besuches. Und die freuen sich. Die spüren, wir sind nicht die Verachteten, uns wird eine unzerstörbare Würde zuerkannt. Das, liebe Gemeinde, ist heilsame Gnade. Keinem darf die Würde eines vollwertigen Menschseins abgesprochen werden, denn jeder Mensch ist, seit Jesus erschien und mit ihm die heilsame Gnade, ein Kind Gottes, auch noch wenn er oder sie in der Gosse geendet ist. Ein Goldstück bleibt Gold wert, auch wenn es im Rinnstein liegt.

Sehen wir uns auf diesem Hintergrund doch einmal das Sozialverhalten unserer Tage an. Da ist doch jemand eher ein so genannter Leistungsträger, der viel geerbt hat und das Vermögen klug investiert‚ als die Packerin im Supermarkt, die sich für einen Hungerlohn den Buckel krumm macht und dann noch beim Sozialamt anstehen muss, um sich und ihr Kind durchzubringen. Diese Frau und all ihre Mitgenossinnen sorgen dafür, dass der Inhaber der Marktkette große Vermögen ansammeln kann. Und er wird als Leistungsträger hofiert und entlastet. Es tut mir leid, liebe Gemeinde – das ist perverses Denken und Handeln.

So kommt die heilsame Gnade unter die Räder einer gnadenlosen profitorientierten Gesellschaft. Und viele, die gehofft hatten, dass die Krise zu einem Umdenken führe, haben sich schwer getäuscht.

Licht muß her, in diese humanitäre Dunkelheit hinein, Weihnachten ist das Licht. Der Christus, das Kind in der Krippe ist das Licht. Der Wanderprediger Jesus unterwegs zu den Mühseligen und Beladenen, den Ausgestoßenen und Kranken, den Leistungsunfähigen und auch den in ihrer Gier verkrümmten Figuren – der ist das Licht. Und wir können, ja wir sollen ein kleines Licht werden in dieser Welt. Jede und Jeder an seinem und ihren Ort. So wie der Schreiber unseres Bibeltexte fortfährt, nachdem er das Erscheinen der heilsamen Gnade gepriesen hat:
Die heilsame Gnade nimmt uns in Zucht, dass wir absagen dem ungöttlichen Wesen und den weltlichen Begierden und besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt leben und warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilands Jesus Christus,
der sich selbst für uns gegeben hat, damit er uns erlöste von aller Ungerechtigkeit und reinigte sich selbst einem Volk seines Eigentums, das eifrig wäre zu guten Werken.
Darum wohlan, liebe Gemeinde, die wir heute mit so wenig äußerem Glanz das Fest begehen. Damit könnten wir glänzen, mit dieser alternativen Lebensform, die ein Gegenbild darstellt zu einer gottlosen Welt, die den Menschen kein Wohlgefallen mehr zukommen lässt, vor allem denen nicht, die es am nötigsten brauchen. Bei denen aber ist Gott Mensch geworden, mit denen hat er das Leben geteilt. Und mitten unter denen ist er gestorben. Der konnte sich sehen lassen. Ja, der ließ sich sehen am dritten Tag. Und der ist lebendig. Lebendig unter uns. Und wir spüren ihn, wenn wir von der heilsamen Gnade Gottes leben und sie teilen mit allen, die zu uns gehören und auch mit denen, die uns begegnen, die wir an und auf unserem Weg sehen und eben besonders denen, die sie am nötigsten brauchen.
So wird Weihnachten heute – und warum nicht? – auch durch das ganze Jahr.
Amen

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