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Montag, 18. Oktober 2010

Kamerateam des ZDF zu Gast bei der Gemeinde

Zwei Tage wurden wir von einem Kamerateam des ZDF begleitet. Für alle Schaulustigen: Das Ergebnis kann man am Dienstag 19.10.10 im ZDF in der Mittagsschau bzw. abends in den 21.45 Uhr Nachrichten sehen. Die Predigt unseres „Fernsehgottesdienstes steht hier unten.

Wir bitten und ermahnen euch in dem Herrn Jesus, da ihr von uns empfangen habt, wie ihr leben sollt, um Gott zu gefallen, was ihr ja auch tut -, dass ihr darin immer vollkommener werdet. Denn ihr wisst, welche Gebote wir euch gegeben haben durch den Herrn Jesus. Denn das ist der Wille Gottes, eure Heiligung, dass ihr meidet die Unzucht und ein jeder von euch seine eigene Frau zu gewinnen suche in Heiligkeit und Ehrerbietung, nicht in gieriger Lust wie die Heiden, die von Gott nichts wissen. Niemand gehe zu weit und übervorteile seinen Bruder im Handel; denn der Herr ist ein Richter über das alles, wie wir euch schon früher gesagt und bezeugt haben. Denn Gott hat uns nicht berufen zur Unreinheit, sondern zur Heiligung. Wer das nun verachtet, der verachtet nicht Menschen, sondern Gott, der seinen heiligen Geist in euch gibt
(1.Thess.4,1-8)

Liebe Gemeinde, liebe Gäste.

„mit dem Zweiten sieht man besser“ behauptet das ZDF, von dem Vertreter/innen heute diesen Gottesdienst mitfeiern. Ich verstehe nur nicht, weshalb man sich bei diesen Worten das andere Auge, das Erste also, zuhalten muss. Zwei Augen sehen mehr als eins und sei es das Zweite, denke ich.
Aber das nur als kleinen Einstieg, man möchte ja aktuell sein. Bei uns geht es nicht um die Augen sondern um die Ohren.
Hören zwei Ohren mehr als eins? Oder ist das zweite Ohr öfter dazu da, das schnell durchzulassen, was durchs erste Ohr hineingekommen ist?
Jemand sagte zu Beginn meines Dienstantritts: Ach, wissen Sie, manches, was in der Gemeinde geredet wird, das lassen Sie zum einen Ohr rein und zum andern schnell wieder raus. Ein wahrscheinlich guter Rat. Nur, man muss erst einmal herausbekommen, wobei man auf Durchzug zu schalten hat. Ich gestehe, daran lerne ich schon einige Jahrzehnte und falle immer wieder darauf rein. Ich höre, wenn es sich nicht lohnt und ich schalte auf Durchzug, wenn ich hören sollte.
Auf Durchzug, liebe Gemeinde, schalte ich besonders schnell, wenn ich ermahnt werde. Ich finde, dafür muss die Welt Verständnis haben.
Einen alten Knochen von 65 Jahren, den sollte man doch getrost in Ruhe lassen können oder? Andererseits, ob ich wirklich glücklich bin, wenn ich in Ruhe gelassen werde? Fühle ich mich nicht eigentlich im Grunde ganz wohl in meinem Murren gegen Ermahnungen. Gehört es nicht auch zum Leben, mal meckern zu können über die scheinbaren Besserwisser? Ach, im Grunde fühlt man sich doch auch letztlich wohl in seiner Verärgerung.
Wenn wir in Ruhe gelassen werden, dann sind wir doch nahe Null. Wer keinen Grund mehr hat, sich aufzuregen, der ist irgendwie schon ziemlich tief gefallen. Ich könnte mir vorstellen, dass es nicht wenige Deutschsprachige in Alanya gibt, die sich geradezu danach sehnen mal wieder ermahnt zu werden, sich mal über jemanden aufzuregen, den man im Grunde doch ganz gern hat. Um aus dem pfarrherrlichen Nähkästchen zu plauschen, am Donnerstag stand ich auf dem Friedhof und beerdigte einen alten deutschen Mann. Die Trauergemeinde bestand aus vier Grabgräbern, der Bestatterin, zwei Fotografen und mir, schwitzend im Talar. Wenn da doch noch ein paar Leute gewesen wären. Egal ob sie in einem freundlichen oder angespannten Verhältnis zum Gestorbenen gestanden haben. Hauptsache, sie hätten mitdenken, das Vater unser mitbeten, vielleicht sogar ein altes und sei es ein abgedroschenes Beerdigungslied mitsingen können. Wie stehen wir da in der muslimischen Umwelt, die so auf die Familie schwört. Wie steht es mit der jüdisch-christlichen Werken der Barmherzigkeit, Tote zu begraben und trauernde zu trösten?
Ich wollte nur sagen, man weiß noch nicht einmal, womit man in dieser Welt beschenkt ist. Es kann die mahnende Stimme des Ehepartners sein. Es kann die kleinliche Kritik eines Nächsten sein.
Wer ermahnt wird, wer kritisiert wird, der ist noch nicht ganz tot.
Und so genommen, liebe Gemeinde, ist das Neue Testament, sind die Briefe des Apostels einmalige Lebensbotschaften, denn sie ermahnen uns noch und noch, so dass es vielen schon zum anderen Ohr herauskommt.
Hören wir uns die Mahnungen in unserm Text an. In meiner Bibel steht schon als Überschrift „Ermahnung zur Heiligung“ und dann geht es los: Wir bitten und ermahnen euch, so wahr wir im selben Boot sitzen, das Geist Jesu Christi heißt. Ein jeder soll seine eigene Frau gewinnen. Keiner soll seinen Nächsten übers Ohr hauen. Von der Befolgung dieser Mahnung hängt Tod und Leben, also eure Christusbeziehung ab.
Ich habe lange gebraucht, bis ich Schafskopf begriffen habe, weshalb der Apostel Seite um Seite in seinen Briefen Mahnungen schreibt und warum seine Hörer bzw. Leser so etwas so sorgfältig aufgehoben haben. Ach ja, das hätte ich fast vergessen, wir hörten einen Abschnitt aus einem unglaublichen Dokument. Das erste Schriftstück, das wir vom Apostel Paulus haben, den 1.Brief an die Thessalonicher. Wie viel Millionen Menschen haben das voll Respekt gelesen? Wie viel tausend sind davon inspiriert worden? Wir haben doch leider nahezu vergessen, welcher Schatz uns in die Hände gelegt worden ist. Wir gehen damit um wie mit unseren Eltern, unseren Traditionen, alles nur lästig, alles freiheitsverhindernd.
Also, weshalb mahnt der Apostel Seite um Seite und hier auf zwei ganz entscheidenden Gebieten, der Sexualität und des Besitzes?
Er ermahnt deswegen, weil er und seine Gemeinde eine unglaubliche Freiheitserfahrung machten. Eine neue Wirklichkeit, eine Realität im schärfsten Sinn des Wortes hatte sie ergriffen, die Realität ewigen Lebens durch die Begegnung mit Jesus Christus. Über ihre Existenz war ein für allemal entschieden worden zu Gunsten des Lebens.
Die Folge war, alle Bindungen fielen.
So kann der Apostel sagen, seine ganze bisherige Existenz sei zu einem Nichts, zu einem Dreck geworden aufgrund der Begegnung vor Damaskus. Und der Gemeinde in Thessaloniki um 50 unserer Zeitrechnung war Ähnliches begegnet. Was zählte nach der Ankunft des Lebens Sitte und Moral, was galt Besitz, Handel und Wandel? Alles war vor der Gabe des Lebens zusammengeschrumpelt zu einem Nichts, einem Kehricht, wie eine Übersetzung sehr vornehm formuliert.
Der geniale und manchmal fürchterliche Martin Luther hat das, was ich Ihnen sage ungeheuer treffend formuliert. Er sagt: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan“. Der durch Jesus Christus zum Himmel erhobene Mensch ist frei, frei gegen über seinem Herrn Jesus Christus und damit frei zum Dienst gegen alle Kreatur.
Wir sind also so frei, dass wir uns mahnen und bitten lassen können, ja, dass wir uns geradezu nach Ermahnung und Bitte sehnen, um mit den Füßen auf der Erde zu bleiben.
Irgendwie möchte ich jetzt zum Schluss kommen, liebe Gemeinde. Und ein halbwegs anständiger Schluss, lesen Sie es in den Medien nach, ein passabler Schluss kommt unweigerlich zum Anfang zurück.
„Mit dem Zweiten sieht man besser!“ Das war der Beginn. Wir setzen über Jahrhunderte schon aufs Ohr. Wir lassen uns sagen, dass wir geliebt sind, wo wir auch stehen oder gehen fallen oder verlieren, wir sind freie Menschen geworden. Aber die draußen. Von denen der Apostel ganz schaurig schreibt, dass sie Heiden wären, die in „gieriger Lust“ ihr Leben verschwenden, die hören nicht so sehr, was wir sagen, die sehen uns, Die überzeugt wer wir sind im Alltag, in der Begegnung, in unserem Gehabe. Und wenn ich schon diese Stelle von der „gierigen Lust“ der Heiden zitiere, dann darf ich aus meiner Erfahrung sagen, dass die Heiden mir viel gezügelter, auch viel lebensfroher begegnen als ich es oft bin. Wir dürfen lernen, unsere Freiheit zu gebrauchen, darum ermahne ich euch. Amen.

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