Bei totalem Stromausfall in Alanya feierten etwa 100 Gottesdienstbesucher/innen im großen Sall des Konservatoriums ihren Gottesdienst zum Reformationstag. Ohne Orgelbegleitung wurden die großen Lutherchoräle gesungen. Die Ansprache zum Reformationstag können Sie hier lesen.
Liebe Gemeinde, besonders liebe katholische Christen,
Sie haben das wohl so gut es ging mitgesungen: „Erhalt uns Herr bei deinem Wort…“ Kennen Sie den ursprünglichen Text? Er hieß: „Erhalt uns Herr bei deinem Wort und steure Papst und Türken Mord…“ Vielleicht kann man sich darüber ein anders Mal unterhalten, über den Papst und Luther, über Luther und die Türken. Heute ist Reformationstag und da möchte ich nicht so sehr die Streitigkeiten in den Vordergrund stellen, sondern das, was ihn zum Reformator machte und vielleicht auch uns bewegen kann.
Sie haben vorhin einen für Martin Luther wichtigen Bibeltext gehört: Römer 1,16 und 17. Ich schäme mich des Evangeliums nicht, denn es ist eine Kraft Gottes zum Heil allen Glaubenden, zuerst den Juden und dann den Griechen. Denn Gottes Gerechtigkeit wurde in ihm offenbart, aus Glauben zum Glauben, wie ja auch geschrieben steht: Der aus Glauben Gerechte wird leben.
Hören Sie das, so bleibt Ihnen auf jeden Fall bewusst, dass das Wort „Glauben“ die beiden Sätze sehr dominiert. Das Wort „Glauben“ ist für Martin Luther Zeit seines Lebens ein entscheidendes Wort geblieben. Es war Luther so wichtig, dass Karl Barth, der große Theologe aus Basel, in seiner Wohnung vor die Ausgabe der Werke Martin Luthers einen Vorhang hängte, allen, die sich mit Martin Luther beschäftigten zur Warnung. Karl Barth sah nämlich bei Luther die Gefahr, dass die Heilstatsachen sich in subjektive Behauptungen wandeln könnten, dass sich keiner mehr an ihnen stoßen konnte.
Sie kennen das Problem, liebe Gemeinde, mein Glauben ist meine Sache. Mein Glauben geht niemanden etwas an, meinen Glauben baue ich mir selber. Karl Barth hat befürchtet, dass „mein Glauben“ „den Glauben“ kaputt macht.
Das hat Martin Luther zweifellos nicht so verstanden, obwohl es sicher ist, dass der Glauben für Luther das A und O all dessen ist, was mit Christentum gemeint ist.
„Glaubst so hast du, glaubst du nicht, so hast du nicht!“ „Gott und Glaube kommen zuhauf“ …Das sind ganz entscheidende Sätze, durch die Martin Luthers Theologie blitzartig erhellt wird.
Der Glaube, unser Glaube, mein Glaube…von unserem kurzen Bibeltext gibt es zwei Übersetzungen. Luther las mit seiner Tradition: Der Gerechte wird aus Glauben leben. Aber dann durchfuhr es ihn wie ein Schlag, als ihm die andere Übersetzung gelang: Der Gerechte aus Glauben wird leben.
Das war Luthers große Entdeckung, die ihn nicht wieder losließ. Der Mensch gefällt Gott im Gewand des Glaubens. Der Glauben macht den Unansehnlich ansehnlich vor Gott und den Hässlichen schön. Der Mensch ist durch den Glauben gerechtfertigt vor Gott. Die Rechtfertigungslehre ist die Kurzbeschreibung dessen, was Menschsein bedeutet.
Ärgern Sie sich nicht, liebe Gemeinde, wenn Sie das nicht gleich fassen. Oder wenn Sie in sich ein deutliches „nein“ hören.
Ganz andere als wir sind damit nicht zurechtgekommen. Zum Beispiel der berühmte Humanist Erasmus von Rotterdam.
Zuerst sah es für viele der Zeitgenossen Luthers und des Erasmus so aus, als zögen die beiden an einem Strang. Erasmus war ein Sprachgenie. Er sprach nur Lateinisch, seine 2000 Brief und seine 150 Bücher sind in Griechisch oder Lateinisch geschrieben. Für Martin Luther und seine theologischen Mitarbeiter besonders interessant: Erasmus von Rotterdam gab 1516 die erste kritische Edition des Neuen Testaments heraus, die Luther wohl bei seiner Bibelübersetzung auf der Wartburg benutzte.
Erasmus, ein Feingeist, ein Kritiker hatte seine Forderungen an die Kirche. Aber er wollte eine Reform der Kirche von innen, keinen Kampf auf Leben und Tod, wie ihn Luther zu kämpfen bereit war.
Die beiden sehr unterschiedlichen Charaktere Luther und Erasmus sind sich nie persönlich begegnet. Ab 1519, also zwei Jahre nach dem Thesenanschlag, standen sie in einem Briefwechsel. Schon bald zeigte es sich, dass sie nicht an einem Strang ziehen konnten. Zugespitzt hat sich das in ihrem Verständnis des „freien Willens“ des Menschen.
1524 erschien die Schrift des Erasmus „De libero arbitrio“, „Vom freien Willen“. Und Martin Luther reagierte darauf mit der Erwiderungsschrift „De servo arbitrio“, „Vom unfreien (bzw. geknechteten) Willen“.
1525 war für Martin Luther ein wichtiges Jahr. In dem Jahr heiratete Luther die entsprungene Nonne Katharina von Bora. Nicht aus Liebe, sondern weil Katharina versorgt werden musste und weil Luther mit diesem Schritt ein weiteres Sakrament säkularisierte, das Sakrament der Ehe. Nicht unerwähnt darf bleiben, dass 1525 der Bauernkrieg von den Fürsten blutig niedergeschlagen wurde und dass Martin Luther unerträglich scharf Partei gegen die Bauern ergriffen hatte.
Zurück zu den beiden großen Geistern. Hat der Mensch einen freien oder einen unfreien Willen? Selbstverständlich kann der Mensch sich entscheiden, ob er isst oder hungert, ob er schläft oder wacht ob er einen Regenschirm ergreift, wenn es regnet oder nicht, ob er seine Zähne putzt…Den beiden Großen ging es um die Frage, ob der Mensch etwas tun kann für sein Heil. Hat Gott die ganze Arbeit zu leisten, wenn es um den Erwerb des ewigen Lebens geht oder kann sich der Mensch daran beteiligen. Selbstverständlich hat Erasmus nicht im Traum daran gedacht, der Mensch könne das ewige Leben allein erwerben. Gott spielt dabei eine wichtige Rolle, aber was kann der Mensch dazu beitragen?
Für Erasmus war klar, dass der Mensch solch einen freien Willen hat, wie sollte er sonst verantwortlich sein für sein Leben? Martin Luther dagegen malt ein Bild, mit dem er die Versklavtheit des menschlichen Willens im Blick auf das Heil illustriert. Der Mensch ist ein Reittier, entweder er wird vom Satan in die Hölle oder von Jesus Christus in den Himmel geritten. Gerade im Blick auf das ewige Leben, so Martin Luther, muss der Mensch davor bewahrt werden, selber zu bestimmen. Denn was kann der sündige Mensch schaffen außer Unheil?
Luthers Buch vom „Unfreien Willen“ ist das Härteste, was an theologischen Schriften erschienen ist, auch Luthers Freund, wie Philipp Melanchthon, waren über die Schrift sehr unglücklich. Ich meine, man kann diese Schrift nur ertragen oder etwas verstehen, wenn man sich klar macht, dass für Luther Quelle und Maßstab des Glaubens allein die Bibel war bzw. dass der Glaube schafft, was kein Sein hat.
Liebe Gemeinde, Martin Luthers Entdeckung des Glaubens hat zur Folge, dass Glaube und Wissen, Glaube und Moral sich trennten. Uns wird ja immer unterstellt, der Glaube wäre ein minderes Wissen oder im besseren Fall eine Vorstufe zum Wissen. Aber das ist falsch. Der Christusglaube ist ein Macht, die den Menschen von sich wegreißt hin zu Gott, die den Sterblichen dem Tod entreißt und ins Leben hinein reißt.
Wenn es Glaubende gibt, dann sind es neue Geschöpfe Gottes, wenn der Glaube fehlt, so hat es Gott (noch) nicht gefallen, Glauben zu schenken.
Karl Barth, erkannte, wie Luther missverstanden werden kann, hat auf die Frage, wie viel der Mensch mit seinem Heil zu tun hat, geantwortet, so viel wie der Erhängte mit seinem Strick.
Liebe Gemeinde, Reformation heißt nicht so sehr, dass sich die Kirche wandelte, Reformation heißt eher, dass Gott wieder zugeschrieben bekommt, was sein Werk ist, die neue Schöpfung, da Leben, das hier schon beginnt. Amen
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen