Liebe Erika, liebe Familie Wittig, liebe Trauergemeinde in Alanya,
Wir beteten Psalm 23. Einen bekannten, wahrscheinlich den bekanntesten Psalm der Bibel. Alles in ihm stimmt oder ist stimmig. Er ist uns nah, vielleicht aus unseren Kinderzeiten oder aus den Zeiten, in denen der Glaube uns ganz einfach und selbstverständlich war. Psalm 23 scheint in uns zu wohnen und auf Abruf zu warten, um von Neuem in unser Herz einzudringen. Ich möchte aber auch das andere sagen, man kann da viel zerreden. Alles, was zu diesem Psalm hinzugefügt wird, erscheint überflüssig, alles, was weggelassen wird, nimmt ihm den Charakter. Psalm 23 einfach hören, ihn in sich von Neuem eindringen zu lassen, ja, ihn zu genießen, das wäre das Ideal.
Aber nun stehen wir ja hier an dem Ort, der erst in seiner Härte erfahren wird, wenn wir tun müssen, was wir gern nicht getan hätten. Und dann klingt unser Vertrauenspsalm doch sehr anders.
Beides aber, der Psalm und der Mensch, dem wir jetzt „die letzte Ehre“ geben möchten haben Gemeinsamkeiten, jedenfalls erscheint mir das so.
Rudolf Wittig war Jahr um Jahr, Monat für Monat einfach und selbstverständlich für euch/Sie da. Man konnte ihn ansprechen. Man konnte mit ihm lachen. Man konnte mit ihm streiten. Man hat sich über sein Engagement gefreut und hat sich über seinen Widerspruch geärgert. Wir haben in den letzten Monaten auf seinen „Alanyaspiegel“ gewartet und haben, wenn er dann eintraf, gehofft, dass es jetzt wieder mit Rudi aufwärts ginge oder dass er wenigstens wieder eine etwas leichtere Zeit haben würde.
Unser Psalm und unser Freund bzw. unser Mitchrist haben gemeinsam, dass man den Eindruck hat, es sollte alles so bleiben, wie wir es kennen. Der Psalm ohne Auslegung und Einlegung und das Leben von Rudi Wittig so, wie es für euch immer stimmig war gerade auch mit seinen Ecken und Kanten. Man möchte da nichts herausheben. Man möchte noch nicht einmal etwas hervorheben. Man möchte wohl auch die verdienten ehrenden Worte meiden, weil man da doch immer das Gefühl hat, alles andere Wichtige, ja auch noch zu Entdeckende, kommt dadurch zu kurz.
Am Ende unseres Psalms lese ich ein Stichwort, von dem ich mich einen Moment in meiner Ansprache leiten lassen.
Das Wort heißt „bleiben“. Was bleibt? Was bleibt am Ende?
Seien wir ehrlich, zuerst, also jetzt, bleibt der Schmerz, ist die Wunde frisch. Und, liebe Erika und liebe Familie, ich wage es nicht, euch zu sagen: Die Zeit heilt Wunden. Das gilt eventuell für uns hier. Unser Schreck, unsere Trauer wird sich abmildern und verblassen und wir werden manchmal, ob in Deutschland oder der Türkei an ihn und an euch denken.
Daran, dass seine Arbeit weiter in Verein und Gemeinde enthalten bleibt. Oder daran, dass wir mit euch gehofft haben und doch im Stillen zu wissen meinten, wohin diese Krankheit nach menschlichem Ermessen führen muss. Wir werden sagen: Weißt du noch, damals in Alanya? Weißt du noch – Rudi?
Bei euch, liebe Familie wird das anders sein. Ich wage noch nicht einmal zu sagen, dass die Wunde heilen wird, sie wird vielleicht vernarben, vielleicht! Aber bei allen entscheidenden Bewegungen, wird die Narbe zu spüren sein, werdet ihr in eurer Bewegung durch sie eingeschränkt, oder vielleicht sogar dorthin geleitet, wohin ihr eigentlich nicht wolltet.
Diese Wunde, diese Narbe wird bleiben und in dieser Art und Weise, durch seine schmerzende Abwesendheit wird Rudi bei euch sein. Es kann nicht anders sein, als dass dieser Abriss in eurer Familie in dieser Form spürbar bleibt. Es kommt vielleicht darauf an, dass man das verstehen und vor allem annehmen lernt, dass zu eurem Leben diese Wunde gehört. Lasst mich noch etwas hinzufügen! Die Gemeinde als Verein, der Verein als Gemeinde wird wohl lange dankbar sein für das, was sein Gründungs- und Aufsichtsratmitglied für sie getan hat.
Rudi hat ja noch bis in die letzten Wochen Ratschläge gegeben im Blick auf das Gemeindezentrum „Seemannskirche“. Ich glaube, Rudi war nicht sehr glücklich, wenn er an „seinen“ Verein, „seine“ Gemeinde dachte bzw. von ihr sprach. Ich schließe meine Person, mich als sein Sorgenkind, ausdrücklich da ein und glaube daran, dass Fehler verziehen werden und Irrwege korrigiert werden können. Und wir glauben wohl alle, dass neben solchen Sorgen auch eine starke, gute Substanz vorhanden ist, auf der gebaut werden kann und von der auch unser Gestorbener sehr genau wusste.
Rudolf Wittig ist ein katholischer Christ, er war das bewusst, sicher nicht fanatisch bewusst. Unser Psalm 23 aber enthält für solche glaubenden Christen ja nicht nur dieses Wort „bleiben“, das mich und euch leitete, sondern da steht mehr: Ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.
Ja, das Haus des Herrn, hier in Alanya, daran hat er mitgearbeitet, in dem war er in seiner Weise präsent. Unser Psalmwort verheißt der ganzen Person Dauer. Ich. Ich in allen meinen Beziehungen. Ich mit Geist, Seele und Leib. Ich, wie ich war, bin, ich werde sein.
Das ist die Sprache des Glaubens.
Der Katholik Rudolf Wittig hätte vielleicht gelächelt, wenn er wüsste, dass auch ein Wort von dem Katholiken Martin Luther an dieser Stelle erklingt.
Der hat so von seinem Bleiben, von der Existenz unseres Ich gesprochen. Er meinte, wir Menschen wären Baustellen, an denen Gott solange arbeitet, bis wir die zukünftige, die bleibende Gestalt bekommen haben.
Ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.
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