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Mittwoch, 24. Dezember 2008

Ein Brief aus Alanya - zum Schluss

„Sommer, Sonne, Fettgeruch“ titelte die FAZ-Sonntagszeitung im vergangenen Herbst und brachte dann einen einigermaßen bissigen oder giftigen Bericht über die „Deutsche Kolonie“ an der türkischen Riviera in Alanya. Auch unsere Gemeinde wurde bedacht. Deutsche, die sich hier niedergelassen haben, ärgern sich nur noch wenig über Berichte dieser Art. Solche Reportagen in Zeitungen oder sogar im Fernsehen ist man beinahe schon gewohnt. Da ist zum Xten mal von Willi`s Kneipe mit Skatrunde, Sauerkraut und Rolladen die Rede. Oder von „Rudi aus Bottrop“, der auch nach 10 Jahren noch kein türkisches Wort kennt und der hier „wie in Bottrop“ lebt – nur mit mehr Sonne und dem Meer vor der Haustür. So ist das Klischee – und fast bin ich geneigt zu denken, dass Rudi wohl nur virtuell existiert. Die Menschen, die ich hier kennengelernt habe, sind anders – zumindest auf den 2. Blick.
Zwar wollen sie alle die Wärme, die herrlichen Früchte vom bunten Markt, die billigere Wohnung, das blaue Meer, das leichtere, beschwingtere Leben, die türkische Gastfreundschaft und Freundlichkeit zumal älteren Menschen gegenüber – aber darf man das denn nicht wollen?! Zumal wenn die Rente klein ist und heute manchmal kaum noch für die Heizkosten zuhause reicht. Eigentlich haben die meisten hier im Leben immer unten rangiert. Nein, schlecht ist es nicht, wenn sie es auch besser haben wollen – und ein paar Worte Türkisch können sie mittlerweile auch. Die Sprachkurse sind hier gut besucht; sie sind sogar ausgebucht.
Seitdem ich hier bin, bin ich allerdings auch voller Bewunderung für die Türken, die Deutsch sprechen, auch für die in Deutschland. Es muss doch wohl Deutsch für sie genauso schwer zu lernen sein wie für uns Türkisch.
Überhaupt die Türken! Welch´ verschiedene Kultur! Bis in Gesten und Körpersprache hinein ist alles anders. Und sie sind freundlich und geduldig mit uns Ausländern. Hilfsbereit und einfach nett. Nur ein paar Kilometer vor der Stadt bringen sie uns Blumen oder Früchte als Geschenk, wenn wir mit der Wandergruppe unterwegs sind – einfach so.
Natürlich werden Ausländer und Touristen auch betrogen und übervorteilt. Aber wo auf der weiten Welt ist es anders, wenn Touristenmassen die Kultur verändern?
Auch die Religion ist sehr anders als gewohnt. An den Muezzin morgens um 5 oder 6 muss man sich gewöhnen. Aber neidvoll sehe ich als evangelischer Pfarrer wie ganze Männer(!)scharen in die Moschee strömen oder wie selbstverständlich man(!) seine Religion öffentlich praktiziert. Die Religion ist lebendig und gehört ohne Frage zum Leben dazu. Mit welchem Stolz die jungen hübschen Frauen ihr Kopftuch tragen! Es ist ein Bekenntnis. Ich weiß nicht, ob sie weniger selbstbewusst sind als die halbnackten Touristinnen in der Stadt.
Wir Christen – allein 6000 Deutsche sollen hier ständig oder teilweise wohnen, dazu kommen Niederländer, viele Skandinavier und neuerdings Iren und Polen – wir Christen sind öffentlich nicht so leicht zu bemerken und auch nicht so leicht zu finden. Immerhin hängen zwei oder drei Plakate an markanten Plätzen aus und laden zum Oekumenischen Gottesdienst am Sonntag ein – im Keller. Die Stadt Alanya hat uns einen Raum im großen Städtischen Kulturzentrum, einen Kellerraum zur Verfügung gestellt. Aus dem haben wir im letzten Jahr unsere Kirche gemacht. Einen Ambo und einen runden Altartisch haben wir zimmern lassen. Eine junge Deutsche, mit einem Türken verheiratet, die aus Treibholz kleine Kunstwerke zaubert, hat uns ein Altarkreuz gearbeitet und geschenkt. Treibholz (!) – vielleicht sind wir es hier ja auch? Unsere Organistin Julia, Russin, sitzt am Keyboard, das eine Kartenspielgruppe „erspielt“ und uns geschenkt hat – und dann feiern wir Gottesdienst. Manchmal mit 30, oft mit 60 und hin und wieder sogar mit 90 Besuchern. Alte Menschen, Rentner, Witwen – Familien mit Kindern gibt es fast nur im Sommer. Das sind die Polen.
Oekumenisch sind wir. In Antalya, 120 km westlich, arbeitet ein katholischer Kollege, der vor 5 Jahren hier überhaupt erst begann. Ich sage immer: es ist wie bei den sog. oekumenischen Trauungen. Antalya ist katholisch mit evangelischer Mitwirkung. Alanya ist evangelisch mit katholischer Mitwirkung. Aber wen interessiert das? Die Menschen hier nicht.
Dennoch: beim Abendmahl legt der Kollege Wert auf die Hl.Messe. Er kann und darf ja wohl nicht anders. Ich lade oekumenisch offen ein und sie kommen, fast alle.
Hin und wieder zu den Feiertagen oder zum Erntedankfest fahren wir zum oekumenischen Gottesdienst nach Belek, zwischen Alanya und Antalya gelegen, und treffen dort die Gemeinde aus Antalya. Ein Hotel-Konsortium hat in Belek eine Moschee, eine Synagoge und eine Kirche an einem Ort, nebeneinander errichtet. „Garten der Toleranz“ genannt. Wenn das nicht nur Alibifunktion hat – es wäre ein Modell für die abrahamitischen Religionen. Interreligiöse Veranstaltungen gibt es dort leider (noch) nicht. Aber wie denn auch – wenn die anderen Religionen intern auch so zerklüftet sind, wie wir Christen uns manchmal noch zeigen!
Auch die Holländer und Norweger benutzen „unseren“ Keller für ihre Gottesdienste. Pfingsten feiern wir zusammen in allen vorhandenen Sprachen. Sogar die 1. Sure des Korans wurde beim letzten Mal arabisch gebetet. Manchmal fühle ich mich in solchen Momenten dem Paulus sehr nahe, wenn das nicht zu vermessen ist. Vor 2000 Jahren hat er in dieser Gegend begonnen. Ich glaube, er war schon weiter, als wir es heute hier sind.
Noch einmal die Norweger. Sie sind auf jeden Fall weiter als wir. Ihre Seemannskirche – so eine Art CVJM für die norw. Auslandsarbeit – hat im September 2008 hier in einem ehemaligen Restaurant ein Begegnungszentrum eröffnet. In der Presse hieß es bald „Geheimkirche“, weil sie dort auch ihre Gottesdienste feierten. Seitdem feiern sie ihre Gottesdienste wieder im Keller. Man sieht, wie dünn das Eis unter unseren Füßen ist. Wir wissen auch nicht, ob uns ein anderer Bürgermeister den Keller nicht wieder entzieht. Wir gehen davon aus, dass man in Zeiten von EU-Beitrittsverhandlungen Ausländer nicht verprellen will. Aber weiß man`s?
Wir Deutschen dürfen das „Norwegische Haus“ mitbenutzen. Jeden Dienstag gibt es dort unser Gemeindecafe. Viele kommen. Es spricht sich herum. Ich sehe Gesichter, die ich nicht aus dem Gottesdienst kenne – und ich glaube, man kommt auch nicht nur wegen des leckeren selbstgebackenen Kuchens. Der Mensch lebt ja nicht vom Brot allein, sonder mehr noch vom Gespräch.
Verkaufen dürfen wir nichts. Deshalb gibt es auch keinen Basar. (Und das in der Türkei, wo hier doch alles Basar ist!) Da kämen wir mit dem Gesetz in Konflikt. Deshalb verschenken wir alles – und aus purer Dankbarkeit gibt uns jeder – wirklich! – eine Spende. Türkische Lösung nennen wir das.
Überhaupt können wir uns nur so mit türkischen Lösungen über Wasser halten. Unsere Schwestergemeinde in Antalya wird von A-Z von der Deutschen Bischofskonferenz alimentiert. Außerdem kommen Bildungstouristen dorthin und lassen Spenden da. Die EKD erwartet von uns in Alanya einen nennenswerten Eigenbeitrag, bevor sie mit ihrer ohnehin sparsamen Subventionsgießkanne kommt. Das schürt Neid, Konkurrenzgefühle, manchmal sogar Wut und Verbitterung. Auch Christen sind Menschen.
Und ich, seit einigen Monaten Pastor für diese Gemeindegruppe, bin ja auch schon Pensionär, Pfarrer in Ruhe wie es heißt. Deshalb bin ich nur für 9 Monate hier. (Irgendwie erinnert das ja an eine Schwangerschaft. Aber was soll hier eigentlich geboren werden?) Statt Pfarrer in Ruhe aber sollte es doch eher Pfr.i.A. heißen: im Abenteuer. Das ist es wert, zumal wenn es ein geistliches ist. Und dem nächsten Pfarrer i.R. wünsche ich es auch so.
RAINER WUTZKOWSKY

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