Logo

Logo

Donnerstag, 12. Juni 2008

Pastors türkische Miniaturen

1.) Im Schreibwarenladen an der Ecke steht ein junger Norweger neben mir. 14/15 Jahre alt, strohblond – wie sie eben sind. Do you have … und dann weiß er nicht, wie er`s sagen soll. Also zeichnet er. Er zeichnet ein langes Rechteck mit Maßeinteilung.Oh! Der Ladenbesitzer bringt ein Thermometer. Nein, sage ich: Lineal, Lineal!Ah! Sagt der Besitzer. Er bringt vier oder fünf zur Auswahl. Der Norweger wählt. How much?
Der Chef holt seinen Rechner und zeigt eindeutig 15 an. Der Norweger zückt einen Packen Scheine und zieht schließlich ohne zu zögern einen 50 Lireschein. Die Gegengeste ist abwehrend. Der Ladenbesitzer holt einen 5er aus der Norwegerhand und gibt 3,50 in Münzen zurück. Natürlich, zeigt er, da fehlt auf dem Rechner der Punkt.
Alle lachen.
Ja, mein Gott,- für 15 Lira könnte man ja fast den halben Laden kaufen.
Ob der norwegische Junge etwas gelernt hat?
Drei Stunden später kaufe ich bei meinem Lebensmittelkrämer ein: 13 Lira. Er gibt mir auf meinen 20er Schein 8 zurück.
Ich reiche ihm die eine Lira über den Tisch. Tip-Box sagt er lachend.
Die türkische Ehrlichkeit färbt schon ab – merke ich.
II) Wir sind alle Strandgut, Treibgut, das irgendwie hier angelandet ist – sagt eine Frau.
Das verstehen nicht alle im Kreis. Wieso meinst Du das – fragen sie.
Weil wir wie Strandgut aus unseren alten Zusammenhängen gerissen sind. Bei dem einen ist die Ehe zerbrochen oder die Familie auseinandergerissen. Beim andern ist die Firma pleite oder der Betrieb hat ihn als Rentner ausgespuckt.
Da läßt sich noch vieles denken.
Aber das gibt es dann auch: Eine andere Frau macht aus angelandetem Treibgut kleine Kunst-Plastiken, Ketten, Armbänder.
Man muß das Strandgut nur in neue Zusammenhänge einfügen, dann werden aus ihm Schmuckstücke,- Sinnvolles auf jeden Fall.
III) In einem winzigen Restaurant am Burgberg arbeitet ein noch kleiner Junge – 12, 13 Jahre alt – als Kellner.
Er gehört nicht zu meiner Familie, meine Kinder sind groß, sagt die Wirtin. Er arbeitet hier.
Er trägt stolz die Speisen auf, räumt flink ab, spricht ein paar Worte Englisch, findet die Fremden interessant.
Ein Arbeitsleben beginnt, wo man in Deutschland noch nicht an die Mittlere Reife denkt und noch lange keinen Beruf weiß, zu dem man sich einmal ausbilden lassen
könnte.
IV) Die Kellner vor den Restaurants taxieren genau, welche Sprache sie bei welchen Touristen benutzen sollen.Einer sagte neulich zu mir: Hey! Tack sa mycket, war sa gud! Also: Hallo,danke, bitte –
Schwedisch total.
Sprachgewandt sind sie ja. Das muß man ihnen lassen.
V) Wenn Du Souveniers kaufen willst, mußt Du handeln. Das geschriebene Gesetz auf den Preisschildern ist die Hälfte von der Anzeige. Euros sind getrost als Liras zu nehmen. Aber sie handeln wie die Weltmeister: erzählen wie wertvoll das Material ist; das alles Handarbeit ist, auch wenn die schablonierte Stanzarbeit von weitem zu erkennen ist.
Manchmal werfen sie ein Körnchen Weisheit in die Verhandlung:
Du bist zu hektisch, machst zuviel Stress – sagte neulich einer zu mir.
Willst Du einen Tee?
VI) Manchmal sind auch ganz fromme Christen hier in der Türkei gelandet. Frag nicht wieso und warum.
Vielleicht sogar, weil hier alles angefangen hat. Paulus muß ja wohl den einen oder andren Weg gegangen sein. Er hat dieselbe Luft geatmet, dieselbe Sonne gesehen, auf demselben Berg gestanden.
Aber deshalb muß man die Moslems nicht zu Christen machen.
Sie ahnen anderes von Gott als die, die zu Christus beten.
Das Gleiche – nur anders.
VII) Kulturbegegnung am Strand
Erstaunlich, wie still es am Strand ist. Manchmal hört man nachbarliches Gewisper. Genug, um zu erkennen, welche Sprache gesprochen wird. Viele halten sich still an der Bierflasche fest.
Man hört den Wellenschlag des Meeres. Hier liegen Deutsche, da Schweden. Die Sonne brennt langsam die blonde Haut rot.
Neulich war es anders:
5,6,7,8 o. 9 junge Leute mischten den Strand auf in lautem, breitestem Amerikanisch. Alle farbig, tief schwarz sogar. Herrliche, prächtige Körper: Die Männer muskelbepackt von der Stirn bis zum kleinen Zeh; die Frauen rund, weiblich, tiefschwarz in weißleuchtenden Badeanzügen. Viel schöner als weiße Haut in schwarzen Bikinis je sein kann.
Alle sprangen nach links und nach rechts, quer durch die Reihen, zum Wasser hin, laut quakend sich einander in die Wellen werfend. Fotos plaziert und wieder zu den Liegen und wieder ans Wasser. Ein bißchen wasserscheu schienen sie mir aber doch.
Es war richtig was los – eine Stunde lang.
Die schwedischen Mädchen vor mir dösten weiter in der Sonne und die Männer hielten sich still an der Bierflasche fest.
Rainer Wutzkowsky

Keine Kommentare: