Predigt über TOD und LEBEN
Liebe Gemeinde,
dieser letzte Sonntag im Kirchenjahr ist in Deutschland ein sehr geprägter Sonntag. Evangelischerseits wird er auch Totensonntag genannt – und man geht wie an Allerheiligen zu den Gräbern. Da der Tod aber in der Kirche nicht das letzte Wort haben soll, hat man diesen Sonntag auch Ewigkeitssonntag genannt. Und Ewigkeit hat wieder viel mit dem „Jüngsten Gericht“, dem Endgericht zu tun – und das führt uns zu Christus, dem Weltenherrn und König. So heißt dann katholischerseits dieser Sonntag auch „Christkönigsfest“.
Das alles gibt uns nun für heute unser Thema vor: Tod und Leben – und Christus, der der Herr über Tod und Leben ist.
Tod und Leben –wir meinen immer, das seien zwei ganz verschiedene Dinge. Die existierten gewissermaßen nebeneinander: Solange das Leben ist, ist kein Tod. Und wenn der Tod ist, ist kein Leben mehr.
So haben das auch die antiken Philosophen schon gesehen. Was regt ihr euch über den Tod auf? - sagt Heraklit. Solange das Leben ist, ist er nicht. Wenn ihr aber tot seid, lebt ihr nicht mehr. Also beunruhigt euch nicht. Was kümmert das eine das andere?!
Aber so einfach ist das nicht. So säuberlich kann man beides im wirklichen Leben nicht trennen. Das ist nur Theorie, Philosophie eben. Die Gedanken kann man so vielleicht beruhigen, die Gefühle aber nicht.
Christlicherseits müsste man sogar sagen, beides steht nicht nebeneinander, sondern beides gibt es immer nur ineinander: wo Tod ist, da ist auch Leben, und wo Leben ist, da ist auch Tod. Dieses Ineinander müssen wir tiefer bedenken.
Zu den wichtigsten Fragen des Menschen gehören diese beiden: Woher komme ich? Wohin gehe ich?
Keiner ist zufrieden mit dem, was er hier lebt oder erlebt. Jeder fragt irgendwann und irgendwie im Leben einmal darüber hinaus. Und da stößt er nun an Grenzen – und manchmal sind diese wie Mauern, ohne Durchlass, ohne Tor.
Was war vorher? Was kommt danach?
Keiner weiß es, aber alle spekulieren und möchten gerne mehr wissen.
Gibt es wirklich kein Loch in dieser Mauer? Kein Tor?
Doch, denke ich. Es gibt eines. Einmal heißt es Geburt und einmal Tod.
Dabei ist nun den Menschen immer aufgefallen, wie ähnlich beides ist, obwohl es oberflächlich gesehen ja als das genaue Gegenteil erscheint.
Viele sagen: Neugeborene Kinder sehen oft richtig alt aus. Sie sind runzelig, verfleckt – als kämen sie aus einem langen Leben. Als wäre ihre Seele schon alt, auch wenn sie gerade eben erst neugeboren ist.
Und andrerseits: Oft fällt auf, dass Tote ganz friedlich und ruhig, fast zufrieden und lächelnd aussehen, als wären sie nach einem schweren Kampf ruhig und erholt, wie neugeboren.
Könnte es nicht sein, dass beides – Geburt und Tod – wie e i n Tor ist, durch das man von der Ewigkeit ins Leben und aus dem Leben in die Ewigkeit tritt? Die Zeichen davon sehen wir am Leib. Die Geburt zeichnet den Menschen wie der Tod. Und der Tod zeichnet den Menschen wie eine Geburt zu einem neuen Leben.
Nun soll es uns heute aber in besonderer Weise nur um das eine Tor, den Tod gehen.
In der katholischen Kirche gibt es die Vorstellung vom Fegefeuer. Das ist eine Art Reinigungsfeuer. Jeder Mensch muss durch dieses Feuer hindurch, damit er wie Silber im Feuer von Schlacken befreit wird. Damit er rein ist, so wie Adam und Eva im Paradies rein waren.
Ich glaube, dass für jeden Menschen schon der Tod selber wie eine Art Fegefeuer ist. Jeder muss da hindurch, um alle Last des Lebens los zu werden. Er muss a l l e s loslassen: das Schöne und Gute, alles Erworbene, jeden Besitz. Nichts kann er mitnehmen. Das Totenhemd hat keine Taschen, sagen wir. Aber er muss auch loslassen, was ihn belastet, was seine Seele schwer macht, alle Schuld, alles Versagen, alles, was auf ihm liegt, alles, was im Leben unvollendet, Fragment geblieben ist. Er soll praktisch ohne Gewicht, ohne Last auf die andere Seite gehen. Deshalb hat sich Franziskus – wie man erzählt – zum Sterben nackt auf den Erdboden legen lassen. Er hat alles losgelassen. Er war frei und gereinigt. So ist er durch den Tod hindurchgegangen. Er nennt ihn Bruder, Bruder Tod.
Dieses Loslassen nennen wir in der Regel “Todeskampf“. Wir hängen am Leben und an allem, was es bietet. Das soll auch so sein. Das ist menschlich. Und trotzdem müssen wir lernen, los zu lassen.
Wie bei allem im Leben schaffen es einige Menschen besser und andere tun sich schwerer damit. Es hängt auch davon ab, was man im Leben vorher schon eingeübt hat. Ob man nur zu sehr festhält oder auch schon hier im Leben ganz bewusst los gelassen hat.
Eines steht fest: an dem letzten Loslassen kommt niemand vorbei! Durch das Nadelöhr des Todes müssen wir ja alle. Also ist es gut, sich darauf vorzubereiten. Wir tun uns so schwer damit, weil wir nicht wissen, was uns auf der anderen Seite erwartet. Deshalb haben wir manchmal Angst davor – und Angst lässt festhalten. Das sehen wir schon an kleinen, ängstlichen Kindern, die sich an ihre Eltern klammern.
Was auf der anderen Seite ist, w e i ß ich auch nicht. Aber ich habe eine Hoffnung, einen Glauben, ein begründetes Vertrauen:
Am vorigen Wochenende war ich in Istanbul. Dort steht – direkt hinter der alten Stadtmauer – eine alte byzantinische Kirche. Die Chorakirche, heute ein Museum. Sie enthält herrliche Mosaiken und wunderbare Fresken, die man unter alten Verkleisterungen gefunden und wieder hervorgeholt hat. In einer Seitenkapelle sieht man auf einem großen Fresko, wie ein starker, kräftiger Christus – fast als hätte ihn ein Michelangelo 300 Jahre vor seiner Zeit gemalt – zu seiner Rechten Adam und zu seiner Linken Eva aus ihren Gräbern reißt. So zieht Christus alle Menschen durch Tod und Grab. Er zieht sie mit Macht und großer Gebärde daraus hervor ins Leben hinein. Er reißt ins Leben.
Das ist der Christus-König vom Jüngsten Gericht.
So glauben wir: Dass wir durch Tod und Grab hindurch ins Leben gehen. Christus reißt uns hindurch. Der Tod ist nur die schmerzliche Gestalt einer neuen Geburt.
AMEN
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