Predigt über Matth. 5, 6 u. 10: Die Gerechtigkeit
Liebe Gemeinde,
heute hören wir zum letzten Mal auf einen oder besser auf zwei Sätze aus den Seligpreisungen Jesu. In den letzten Wochen sind wir an diesen Sätzen entlanggegangen, die uns einen Weg zum Leben zeigen.
Viele Menschen sind hier in der Türkei, weil sie gut und gerne leben wollen. Die Touristen sind hier, weil sie sich erholen wollen. Menschen, die sich hier niedergelassen haben, sind hier, weil die Sonne länger und wärmer lacht als in Deutschland – und weil das Leben günstiger ist als zuhause. Für`s gleiche Geld kann man sich mehr erlauben. Das Leben hier tut gut, man fühlt sich wohl.
Aber irgendwann merken wir: das ist nicht alles. Das kann nicht alles sein. Ich karikiere: Nur am Strand zu liegen, ist auf die Dauer auch langweilig. Nur auf der Atatürk hin und her zu laufen, ist auch nicht so prickelnd. Auch alles Neue oder die Neuen sind ja doch nur immer wieder die Alten. Essen alleine reicht nicht – und T-Shirts habe ich jetzt schon ein Dutzend und mehr. Es reicht.
Leben allein reicht nicht zum Leben.
Deshalb haben wir uns in den letzten Wochen mit der Einfachheit, mit der Trauer über Verpasstes und Verlorenes, mit Barmherzigkeit, Milde, Friedenskraft, mit dem reinen Herzen und dem armen d.h. freien Geist beschäftigt. Das sind andere Werte zum Leben. Durch sie bekommt das Leben mehr Tiefe. Das ist eine andere Welt.
Heute geht es um ein letztes Thema. Zwei Sätze sogar behandeln diesen Wert in den Seligpreisungen. Er muss Jesus in besonderer Weise wichtig sein.
Es ist die Gerechtigkeit.
In der 4. Seligpreisung – also mittendrin – sagt er:
Glücklich sind die, die nach Gerechtigkeit hungern und dürsten, denn sie werden gesättigt werden.
Und in der 8.Seligpreisung – in der letzten – schließt er:
Glücklich sind die um der Gerechtigkeit willen verfolgten, denn ihnen gehört das Himmelreich.
Da hat jemand also etwas nicht. Deshalb hungert und dürstet er oder sie danach. Wenn man genug gegessen hat, ist man satt. Aber das gilt nur für den Hunger. Beim Durst gibt es kein entsprechendes deutsches Wort für „satt“. Wie sagt man das, wenn jemand genug getrunken hat? Die Alkoholiker machen vielleicht Witze darüber,- aber lustig ist es ja nicht. Die spirituellen Menschen wissen, dass Durst nicht „gesättigt“ werden kann. Durst bleibt immer – und d.h. ich bleibe auf dem Weg. Ich suche weiter. Deshalb soll man sich auch in dieser Suche einsetzen bis hin zur Verfolgung. Dann – sagt Jesus – erst dann gehört ihnen das Himmelreich.
Mein Haus ist mein Himmelreich, mein Auto, mein Urlaub, meine Frau oder mein Mann – sagen wir wie in der Werbung. Jesus sagt in der 1. Seligpreisung: Wer frei im Geiste ist, wer sich nicht abhängig macht von den Meinungen anderer, wer nicht zum Knecht von Dingen wird – Haus, Auto, Pferd, Boot etc. – dem gehört das Himmelreich. Und jetzt am Ende der Seligpreisungen sagt er: Wer sich bis zur Verfolgung einsetzt, der wird satt, der wird erfüllt, der findet das Leben, dem gehört das Himmelreich.
Aber – jetzt habe ich lange genug um den heißen Brei herumgeredet: Wonach geht denn der Hunger und der Durst? Wofür sollen wir uns denn einsetzen, wenn es sein muss bis zur Verfolgung?
Für die Gerechtigkeit! Gerechtigkeit – das ist unser heutiges Thema.
Gerechtigkeit – das ist zunächst einmal ein großer Begriff. Die Philosophen haben versucht, ihn zu ergründen. Für die alten Griechen war die Gerechtigkeit eine der vier Grund – o. Kardinaltugenden neben Klugheit, Mäßigung und Tapferkeit. Aber was ist Gerechtigkeit?
Gerechtigkeit herrscht dann, wenn die Welt im Lot ist. Wenn die Waage stimmt. Wenn alles ausgeglichen ist. Wenn nichts Ungleichgewichtiges die Ordnung oder Ausgewogenheit stört.
Einige Beispiele aus der letzten Zeit:
Wenn die einen alles haben oder vieles und die anderen nichts oder kaum etwas, dann ist keine Gerechtigkeit.
Wenn die einen ihr Erspartes oder ihre Rente verlieren oder darum fürchten müssen, die Banker aber, die dafür verantwortlich sind, große Abfindungen oder Boni bekommen, dann ist keine Gerechtigkeit.
Wenn einer oder eine immer im Rampenlicht steht und das große Wort führt, und ein anderer immer im Schatten sitzt und nicht zum Zuge kommt, dann ist keine Gerechtigkeit.
Dabei muss es gar nicht so extrem sein. Schon kleinere Ungleichheiten empfinden wir als große Ungerechtigkeit. Manche Menschen sind da sehr empfindlich und reagieren sofort.
Überhaupt spielt das Subjektive, das Persönliche eine große Rolle. Gerechtigkeit ist nichts Abstraktes. Immer kommt es darauf an, wie ich es empfinde. Gerechtigkeit ist nicht für alle das Gleiche. Man muss m i r gerecht werden, dann fühle ich erst die Gerechtigkeit. Mit gleichem Recht muss man dann aber auch dem anderen gerecht werden oder der ganzen Welt, den Tieren, dem Meer, der Luft – sonst ist Ungerechtigkeit. Dann ist keine Ordnung da, dann ist die Ordnung und das Leben gestört, dann leiden die Menschen und hungern und dürsten nach Gerechtigkeit.
Wir spüren, wie schwer, ja fast unmöglich es ist, jedem gerecht zu sein oder zu werden, Gerechtigkeit zu suchen oder zu verwirklichen. Wir haben ein ganz feines Gespür dafür. Wir spüren, wo und wie die Welt nicht in Ordnung ist, wo sie aus dem Lot ist. Wir leiden darunter und sehnen uns.
Ich glaube, dass Barack Obama am letzten Dienstag mit einer solchen Sehnsucht bejubelt wurde, weil die Menschen in ihm fast einen Messias sehen, der allem gerecht werden soll, um so Gerechtigkeit herbeizuführen. Zugleich wissen wir, dass das einen einzelnen immer überfordern muss.
Damit das alles nun nicht etwa willkürlich wird und jeder wohl nur seinen eigenen großen Egoismus als neue Gerechtigkeit ausgibt, fehlt noch etwas ganz Wichtiges. Wir müssen nicht nur uns oder dem Menschen im allgemeinen gerecht werden. Wir müssen vor allem Gott gerecht werden. Sein Wesen ist der 1. Maßstab für das, was auf unserer Erde alleine Gerechtigkeit sein kann. Wenn Gott z.B. die Liebe ist, kann auf der Erde nicht mit Gewaltsamkeit Gerechtigkeit hergestellt werden. Gerechtigkeit verlangt dann, dem Wesen Gottes zu entsprechen. Es muss die Liebe sein, die weiterführt.
Jesus rückt mit unserem Stichwort deshalb noch einen wichtigen Gesichtspunkt in den Blick. Er sagt, dass wir uns für die gerechte Sache einsetzen sollen – bis hin zur Verfolgung. Viele jammern nur und klagen, dass alles so schlimm und ungerecht ist. Jesus sagt: ihr müsst auch etwas tun! Dann gehört euch der Himmel. Erst dann. er fällt nicht vom Himmel, sondern baut sich in dem Maße auf, wie ihr die Gerechtigkeit findet und sie wirklich lebt. Jesus schickt uns also auf die Suche. Wir müssen nur unserem innersten Empfinden nachgehen und mit anderen darüber ins Gespräch kommen, dann finden wir den Weg, die Spur zu größerer Gerechtigkeit. Nicht sofort die ganze Gerechtigkeit, aber die größere als die, die wir jetzt haben.
Also: Was ist Leben? Wirkliches Leben?!
Nicht nur sitzen und labern, sich selbst und andere volllabern. Nicht nur Essen und Trinken. Nicht Gegenstände auf Gegenstände häufen, bis wir daran ersticken, sondern unter allem den wirklichen Hunger und Durst entdecken. Spüren, wo die Welt ungerecht ist, wo sie oder ich darunter leiden, wo der Segen schief hängt, - es benennen und anders handeln,- selbst wenn man uns dafür mit Böswilligkeit verfolgt oder schmäht.
Denen gehört das Himmelreich. Und: ohne Himmel können wir wirklich nicht leben. Erde allein ist zu wenig.
AMEN
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