Ökumenischer
Gottesdienst am Pfingstmontag, 01.06..2018, um 11:00 Uhr
in der Kirche im
„Garten der Toleranz“ in Kadriye
als Lesung
ist vorausgesetzt: Apg. 2, 1-24
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater, und
dem Herrn Jesus Christus.
Predigt zu 2. Korinther 3,6:
Der
Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig!"
Liebe
Gemeinde,
"Schmückt das Fest mit Maien", so heißt es in
einem alten Pfingstlied.
Aber: Warum eigentlich?
"O Heil'ger Geist, kehr bei uns ein." so heißt es
in einem anderen Pfingstlied.
Aber: Was ist das denn für ein Geist?
Wir könnten die Fragen fortsetzen. Fände hier jetzt unter
uns eine Meinungsumfrage statt, und jeder sollte in ein paar Sätzen sagen, was
"Pfingsten" heißt, dann würden viele von uns woh ein paar Formeln
zusammen bekommen – Heiliger Geist, Ausgießung des Geistes, eventuell noch:
Geburtstag der Kirche -, aber: könnten wir auch sagen, was in diesen Formeln
steckt, was sie meinen, was sie heute bedeuten?
Ich will's versuchen. Dabei lasse ich mich von zweierlei
leiten, von einem Bild und von einem Spruch:
–
Wir
haben vorhin die alte Geschichte vom Pfingstwunder gehört. Der Geist Gottes
kommt brausend vom Himmel herab, setzt sich auf die Menschen, besitzt damit die
Menschen, und das sieht aus, wie wenn Flammenzungen aus den Menschen schlagen.
Geist entflammt. Gottes Geist entflammt Menschen und macht sie neu reden.
Andere denken: "Die sind betrunken..."
–
Im
zweiten Korintherbrief schreibt Paulus einer Gemeinde, dabei auch über sich
selbst, und dabei fällt der Satz: "Der Buchstabe tötet, aber der Geist
macht lebendig."
Ich beginne mit drei verschiedenen Situationen, drei
unterschiedlichen beispielhaften Lebensausschnitten, die ich jeweils mit ein
paar Strichen skizzieren will.
Erstes Beispiel:
Zwei Regierungen schließen einen Vertrag miteinander und
einigen sich auf geregelte Beziehungen. In dem Vertrag steht nicht:
"Wir verzichten darauf, gegenseitig auf unsere Regierungschefs Spione
anzusetzen." Tut es der eine dennoch, hat er zwar keinen Buchstaben
verletzt, wohl aber den Geist des Vertrages. Das ist ein Beispiel für
den Unterschied zwischen Buchstabe und Geist. Die Berufung auf den Buchstaben,
die bloße Orientierung am Buchstaben, kann zerstören, weil der lebensschaffende
Geist draußen bleibt.
Zweites Beispiel:
Die Kirche lebt aus der Bibel. So sagt man. Aber wie? So,
dass wir den alten Text immer und immer wieder lesen, am besten aus-wändig
lernen und aufsagen? Wenn doch die alte Bibel Geschichte und Erfahrung des
Glaubens vielfältig enthält, bleiben wir dann nicht am besten Buchstabe
für Buchstabe bei ihr?
So denkt mancher. Auch heute. Aber was würde daraus folgen?
Dies. Wir müssten dann uralte Texte buchstabengetreu
wiederho-len; Texte, deren Verfasser in einer unvorstellbaren anderen Welt
gelebt haben, und wir müssten zugleich unser Leben, unser Denken,
unsere Welt fernhalten. Die Buchstaben wiederholen – und mit
beiden Füßen in dieser Welt, im Jahre 2020 leben, das wäre wirklich zweierlei.
Wollen wir das? Wer kann das überhaupt? Sollte dies "glauben" heißen?
Nein. Denn: die bloße Wiederholung von Buchstaben ist kein
Leben, sondern erst der Geist schafft Leben. Das heißt jetzt: ich nehme
die alten Texte, die alte Überlieferung der Bibel – ich setze sie dem Leben
aus, der Not, der Freude, den Fragen des heutigen Lebens. Und dann kann
es sein, dass sie neu sprechen, dass neuer Geist in alten Texten
"spruchreif" wird – und dass Menschen etwas Neues zu sagen haben. Das
ist dann oft was ganz anderes, als was die Vorfahren gesagt haben. Wie sollte
es auch sonst sein?
Drittes Beispiel:
Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist 71 Jahre
alt. Es hat den Deutschen über Jahre hinweg eine grundlegende Rechtssicherheit
gegeben. Staatsrechtler sagen, es sei im Grunde die beste Verfassung unter
allen Demokratien der Welt. Was läge also näher, als an diesem Grundgesetz aber
auch nicht einen Buchstaben zu verändern! Jedoch: das Grundgesetz ist in
den vergangenen 70 Jahren seiner Geltung mindestens achtzig Mal geändert oder
ergänzt worden. Warum?
Weil die einmal 1949 geschriebenen Buchstaben nicht alle
kommenden, neuen, unerwarteten Lebenssituationen und Lebensfragen einfangen
können. Man muss sich nämlich gelegentlich Neuem stellen, und dann lehrt
der (Zeit-)Geist Neues zu sagen.
Das sind drei Beispiele: eins aus der Politik zwischen
Völkern, eins aus der jüngsten Geschichte und eins, das die über zweitausend
jährige Geschichte der Kirche und des Glaubens angeht. Alle drei Beispiele
haben auf unterschiedliche Weise mit demselben zu tun, mit der Spannung
zwischen Buchstabe und Geist.
Was lehren uns die drei Beispiele, wenn wir sie jetzt
unmittelbar auf unseren Anlass, auf Pfingsten und den Heiligen Geist
beziehen?
Ich will es zweifach zusammenfassen:
Einerseits: Pfingsten ist ein tolles Fest: ein Fest, das uns wie
kein anderes einweist in die Dynamik des Lebens, hineinschickt in den
lebendigen Prozess, uns nicht festhält im Gestern, sondern uns auf den Weg
bringt ins Morgen mit seinen neuen Fragen, Aufgaben, Möglichkeiten. Pfingsten
heißt: Bewegung und Veränderung. Pfing-sten heißt: Gott ist jung – die Kirche
kann wieder jung werden, un-ser Glaube macht uns jung. Denn Pfingsten ist nicht
ein Fest des Buchstabens, sondern des Geistes.
Dieser Geist ist nicht unser Geist – hat aber mit unserem
Geist zu tun. Es ist nicht einfach unser Denken – hat aber auch damit zu tun.
Es ist nicht der Geist einer bestimmten Gemeinde oder Gemein-schaft oder einer
Gruppe – aber auch dort kann er lebendig sein. Was ist das für ein Geist?
Bildhaft gesagt: Gottes Geist, Jesu Geist, der in unser
Denken und Handeln hineinfährt, es in neue Bewegung bringt, es zum Guten wendet
und uns so über uns selbst hinausführen kann.
Weniger bildhaft gesagt: Es ist in all unserem Denken und
Handeln jener Treffer, der irrenden, unvollkommenen Menschen hier und dort
dennoch gelingen lässt, dass es dies auf Erden gibt: Liebe, Glück,
Bestehen, Durchkommen.
Das andere: Pfingsten ist auch ein gefährliches Fest! Denn wer
sagt denn, ob die Bewegung wirklich Neues bringt, das mir auch passt? Wer sagt vorher,
ob – im Bilde gesprochen – das Jung-sein Gottes, der Kirche, des Glaubens nicht
doch über die Stränge schlägt, gemessen am Bestehenden, Gültigen, fromm
Gemessenen? Niemand kann's sagen. Ob also nicht doch die Ordnung des
Buchstabens sicherer ist als das Wehen des Geistes? Mag sein: ruhiger –
aber gilt das? Sollten wir das Bild von den züngelnden Flammen auf den Köpfen
eventuell doch lieber auslöschen und ein anderes malen: Paragraphen,
Gesetzesabschnitte, Buchstaben, die über jedem Kopf schweben?
Dreimal Nein!!! Denn: Dass das Neue Testament jene
Geschichte vom Pfingstwunder überliefert, die Geschichte, in der die
Umstehenden meinen: "die sind betrunken" – dass in den Festkalender
der Kirche Pfingsten aufgenommen worden ist, das ist eine Ent-scheidung.
Es ist die Entscheidung für ein tolles, zweitägiges Fest, obwohl es ein gefährliches
Fest ist. Noch lieber würde ich sagen: die Entscheidung das tolle Fest, weil es ein gefährliches
Fest ist. Denn dies allein lässt heute Christ sein. Oder noch genauer:
deswegen können viele, kann auch ich "JA" sagen zur
alten Überlieferung des Glaubens, ja zur Buchstabenkirche, denn sie ist da, um jung
zu werden – durch den Gott, der jung ist und der uns seinen Geist
schenkt.
Darum, liebe Schwestern und Brüder: Halten wir die Flammen
am Brennen... Schmücken wir das tolle Fest mit Maien...
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere menschliche
Vernunft es fassen kann, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus,
unserem Heiland. AMEN
Gebet: Gott, himmlischer Vater,
an
diesem Tag, an dem wir alle daran denken, wie dein Heiliger Geist uns Menschen
verändern und froh machen will, da spüren wir zugleich auch, was uns fehlt.
Manche
von uns, von den Christen heute, sind am Leben müde geworden, manche wohl auch
am uns umgebenden Wohlstand. Wir spüren, wie wenig wir von der Macht der Freude
beherrscht sind und uns die Phantasie des Glaubens fehlt. Viele haben es sich
angewöhnt, lieber nach rückwärts zu schauen als nach vorwärts.
Dabei wissen wir: es müsste nicht so sein
und es dürfte nicht so sein! Denn du willst uns deinen Heiligen Geist ebenfalls
schenken wie alles andere. Wir dürfen fest mit ihm rechnen in unserem Leben.
Wir können uns auf ihn verlassen.
Deshalb
bitten wir dich, Gott: Mach' uns heute, am Tag der Pfing-sten, voll Hoffnung,
Mut und neuer Kraft. Lass uns das Leben wieder lernen. Amen.
Segenswort:
Gott allen Trostes und aller
Verheißung, segne uns und behüte uns; begleite uns mit deiner Liebe, die uns
trägt und fordert; laß dein Angesicht leuchten über uns und sei uns gnädig,
denn deine Güte schafft neues Leben; wende dein Angesicht uns zu und schaffe
uns Heil; lege deinen Namen auf uns, und wir sind gesegnet. Amen.
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